Rückzug unter Verlusten

Martin R. Deans behutsame Kurzprosa

Von Thomas KasturaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Kastura

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Muß man joggen, um geistig fit zu bleiben? Muß man videofilmen, um sich an glückliche Tage zu erinnern? Muß man umhergereist sein und viel erlebt haben, um Geschichten zu erzählen?

Die Figur in Martin R. Deans neuem Buch würde diese Fragen mit einem entschiedenen "Nein" beantworten; Monsieur Fume heißt sie und ist nicht nur dem Namen nach eine Kreuzung aus Henri Michaux' "Ein gewisser Plume" und Paul Valérys "Monsieur Teste". Doch Dean, 1955 im Aargau geboren und mit den Romanen "Der Guayanaknoten" (1994) und "Die Ballade von Billie und Joe" (1997) bekannt worden, hat keinen offenen Text ver-faßt, der sich über Jahre wie von selbst fortschreibt. Seine szenenhaften Fragmente sind eher fragmenthafte Szenen, fein durchkomponiert, weniger assoziativ, sondern mit durch-gehenden Motiven.

Eines davon ist die Betrachtung der Wolken, der sich Monsieur Fume auf seinem Rückzug von der Welt verschrieben hat. Die Reflexion des "geheimnisvollen Theaters" in den Lüften verbindet die einzelnen Abschnitte, in denen es um Verluste geht: von Erinnerungen, Ge-wißheiten und Gewohnheiten. "Der Abschiede", notiert Fume, "werden von Monat zu Mo-nat mehr. Bald werden auch die Dinge, die mir vertraut sind, verschwinden." Dagegen ge-ben nur die veränderlichen, ungreifbaren Wolken noch geistige Anstöße, während die äu-ßere Welt der Dinge und Taten sich Fumes Wahrnehmung entfremdet und wiederholt ins Groteske kippt.

Doch Fume steht nicht aristokratisch über den Dingen wie ein Dandy, hat nicht die Souve-ränität eines Misanthropen oder die Penetranz eines Besserwissers. Er ist leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen auf seinem Weg von der Reduktion in die Abstraktion und kon-struiert sich deshalb drei imaginäre "ausländische Freunde". An diese Projektionsflächen - alter egos stimmt nicht ganz - richtet er Briefe, in denen er seine Standpunkte diskutiert. Sie enthalten ein Loblied der Immobilität, das Pessoa abgelauscht sein könnte, aber auch eine Angst vor der nahenden Jahrtausendwende: "Fühlen Sie ihn nicht auch, diesen Schwindel, diesen Sog, der von der Leere ausgeht? Daß plötzlich alles noch einmal auf den Prüfstand gezogen wird, übersteigt es nicht unsere Kräfte?"

Es ist überaus erfrischend, diese behutsam erzählten Vignetten zu lesen, die nicht mit Handlung wuchern, sondern sich auf eine Figur und ihre innere Entwicklung konzentrieren. Dean verpackt seine Kulturkritik beiläufig und greift gerne auf absurde Komik zurück, ein Stilmittel, das viele Eskapisten erst sympathisch macht. Wie Aufnahmen mit langen Be-lichtungszeiten wirken diese ein- bis zweiseitigen Einstellungen. Fume fährt ans Meer, wo seine "Wachheit zerbröckelte". Vor seinen Augen verwandelt sich das Haupt seiner Gattin in einen Salatkopf. Oder er läßt im Traum ein Ei wachsen, bis es ein Huhn unter sich zer-quetscht und er mit Platzangst erwacht.

Waren Plume und Teste Spielfiguren der Moderne, so versucht Dean, das gleiche für die Postmoderne zu leisten: konsistent, mit mehr Anspielungen, nicht so fahrig wie Michaux und nicht so philosophös wie Valéry. Das Vehikel Fume entwickelt ein Eigenleben, es ist nicht nur Mittel zum Zweck - vielleicht das beste, was man über eine Literatur-Figur sagen kann. Und wenn Fume eines seiner Egos mahnt: "Vor allem dem irren Tempo der Zeitge-nossen nicht verfallen: gegenüber dem Gestern sind sie alle Wendehälse. Dagegen sanft zurückbleiben, das ist die Kunst des Rückzugs", dann möchte man ihm gerne beipflichten.

Martin R. Dean: Monsieur Fume oder Das Glück der Vergeßlichkeit. Hanser Verlag, München und Wien 1998. 144 Seiten, 26,- DM.

Titelbild

Martin R. Dean: Monsieur Fume. oder Das Glück der Vergeßlichkeit.
Carl Hanser Verlag, München Wien 1998.
144 Seiten, 13,30 EUR.
ISBN-10: 3446194819

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