Eine durch und durch griechische Odyssee

Vassilis Alexakis macht sich auf die Spurensuche nach dem Epsilon

Von Tobias TemmingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Temming

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Pavlos ist ein griechischer Karikaturist, der für eine kleine französische Zeitung in Paris arbeitet. Von Frankreich ermüdet kehrt er zurück in die alte Heimat, die ihm fremd geworden ist. Er besucht zunächst seine Familie und die Orte seiner Kindheit und Jugend. "Zum Zeitvertreib" macht Pavlos sich auf die Suche nach der geheimnisvollen, bisher unbekannten Bedeutung des Buchstaben Epsilon, der über dem Eingang des Apollontempels in Delphi prangt.

Die Reise auf den Spuren der Ahnen steht zugleich für die Suche nach der eigenen Identität. Getrieben von der "Notwendigkeit, seine Gegenwart zu legitimieren", durchforstet Pavlos sein Land und stößt auf Geschichten der hellenistischen Welt. Er besucht die großen Stätten der griechischen Mythologie und Literaturgeschichte, die Schauplätze der "Ilias" und den Eingang zur Unterwelt, durchstöbert archäologische Fundstätten, antike Bibliotheken und Museen nach dem Epsilon und lässt sich zu den Ursprüngen seiner Muttersprache zurückführen.

Die Suche entwickelt sich zu einem etymologischen Exkurs über Wörter der griechischen Mythen und Homerischen Dichtungen, die mit einem Epsilon beginnen. Dabei ist Etliches über die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte berühmter Werke und Autoren zu erfahren - etwa Plutarchs, der Göttersagen oder der "Ilias". Der Erzähler macht dabei vor nichts halt: er erläutert die Herkunft und die Bedeutung der Namen von Bergen und historischen Persönlichkeiten ebenso wie die einzelner Fruchtbäume. Ein ausführlicher Abriss der Geschichte Delphis von der Grundidee in vorklassischer Zeit bis zur Gegenwart darf nicht fehlen.

Pavlos Gespräche mit griechischen Freunden, Kollegen und geschwätzigen Taxifahrern führen in das heutige Griechenland, beziehen aktuelle Probleme auf das kulturelle Selbstverständnis und die Ängste der Griechen, zum Beispiel auf die Mazedonienfrage und das Verhältnis zur Türkei. Die Suche nach dem Epsilon wird jedoch niemals zu lange aus den Augen verloren. Fast schon zwanghaft erscheint Pavlos Fixiertheit - hat ihn doch "keine Frau jemals so beschäftigt wie dieser Buchstabe". Häufige Wechsel zwischen der Handlungsebene und eingestreute Anekdoten sorgen zunächst für Kurzweil. Doch das Mittel nutzt sich schnell ab.

Am Ende stören die romantisierenden Naturdarstellungen und die nur lokal bedeutsamen Schnurren über die letzte noch lebende Kaffeesatzleserin oder den blinden Archäologen Préaud zur Morgenstunde auf den Stufen des Apollontempels. Man wird der ewig austrocknenden Sonne ebenso müde wie der wörtlich zu verstehenden Wortklauberei des Erzählers. Die gut gemeinten Versuche, eine Art "Kino im Kopf" zu erzeugen, erinnern an den Kitsch des Heimatfilms der 50er Jahre, nicht aber an gute Literatur.

Die zahllosen Daten zur griechischen Literatur und Mythologie tuen ein Übriges zur Ermüdung beim Lesen. Der Buchstabenpedanterie wird man ebenso satt wie der lieblichen Zypressen- und Olivenhaine mitsamt ihren permanent "zwitschernden Vögelchen".

So gleicht der Roman einer Jagd nach der ewig gleichen Idee. Immer heiter, sonnig, mediterran. So wie der Protagonist nach einer Beschäftigung sucht, die ihn ausfüllt, so wartet der Leser vergeblich auf einen erkennbaren Plot und minimale Ansätze von Spannung. Der teilweise holprig übersetzte Roman liest sich über weite Strecken wie ein misslungener Touristenführer.

Titelbild

Vassilis Alexakis: Das Rätsel von Delphi.
Übersetzt aus dem Griechischem von Dimitris Depountis.
Rotpunktverlag, Zürich 2001.
360 Seiten, 20,50 EUR.
ISBN-10: 3858692239

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