Ut pictura poesis, zweiter Aufguss

Durs Grünbein im Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Lektüre von Gesprächsbänden kann sehr unterhaltsam und aufschlussreich sein, man denke nur an die gesammelten Irrtümer eines Heiner Müller oder dessen vom stets aufgeweckten Alexander Kluge inspirierten Bonmots. Die Qualität eines Dialogs hängt selbstverständlich vom Verhältnis der Gesprächspartner zueinander ab, wobei den Leser vor allem die subjektive Zuspitzung, die Spontaneität, der Witz, die sich entwickelnde Präzision und Ausformulierung des Gedankens reizen werden.

Durs Grünbein, der vielfach ausgezeichnete Lyriker, Essayist und Übersetzer, soll nun im Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks zur Beziehung von Literatur und Kunst Auskunft geben, ganz dem Horazischen Diktum aus der "Ars Poetica" folgend. Zahlreiche Schnittstellen und Abgrenzungen sind auszumachen, etwa betreffs der genuinen Bildlichkeit der Kunstformen oder zur im Kunstwerk konservierten Zeit bzw. Dauer. Der Autor, der in einigen seiner Essays immer wieder die bildende Kunst zum Thema gemacht hat, gibt sich als charmanter Laie, der doch die ein oder andere profunde These zu referieren weiß. Ausführlicher wird es immer dann, wenn Rückschlüsse auf das eigene Schaffen gezogen werden können. Auch wenn auf persönlich gehaltene Fragen teilweise ausweichend, also generalisierend, geantwortet wird, lassen sich doch individuelle Herangehensweisen des Dichters nachvollziehen. Allerdings muss konstatiert werden, dass der Grünbein-Kenner dabei nicht viel Neues erfährt. Alles, was hinsichtlich der Poetik oder der Metaphorologie erarbeitet wird, z. B. die "Omnitemporalität der Poesie", die "Erinnerungsfunktion der Dichtung", die "Epiphanie in der Kunst" und die "endogene Herkunft der Worte", ist bereits aus den verschiedenen Aufsätzen des Dichters bekannt, die in der Sammlung "Galilei vermißt Dantes Hölle" (1996) oder in diversen Zeitschriften und Anthologien zu finden sind; einzig die Differenzierung bezüglich der Malerei und der Photographie liefert bislang unbekannte Details.

Es bleibt dabei spannend, die von Grünbein gezogenen Traditionslinien zu verfolgen, allein, zu viel wird angedeutet, zu wenig vertieft. Ein beharrlicheres Fragen von Jocks, der Grünbein zum selben Thema bereits 1997 für die Frankfurter Rundschau interviewt hatte, hätte die Konzentration erhöhen können, in Momenten, da Grünbein gleich sechs bedeutende Photographen im selben Atemzug erwähnt. Außerdem verharrt Jocks zu deutlich in der kaum gleichberechtigten Position des Interviewers; aus dem Gespräch wird ein Frage und Antwort-Spiel, das ab und an in unterwürfigen Aufforderungen endet, weiterzureden, ohne einen wirklich anregenden Charakter anzunehmen: "Mehr über die Vermengung des anderen mit dem eigenen Leben, bitte!", so Jocks. Zudem scheint die Auswahl der eingefügten Abbildungen verschiedener Werke von Mantegna bis Francis Bacon bis auf wenige Ausnahmen, etwa René Magrittes "Le Drapeau Noir II", nahezu beliebig und ungeschickt angeordnet. Das Werk "Schöner Scheinen (If the Shoe Fits, Wear it)" I und II des langjährigen Grünbein-Freundes Via Lewandowsky wird beispielsweise präsentiert, lange bevor dessen Name das erste Mal genannt wird.

Der Dialog zwischen Literatur und Kunst scheitert dort, wo die Kunst zur reinen Illustration wird. Offensichtliche Anknüpfungspunkte wie Grünbeins Äußerungen zu Künstlern wie Ilya Kabakov, A. R. Penck und Andreas Slominski wurden nahezu vollkommen außer Acht gelassen. Seiner frühen Performancekunst mit den sogenannten Autoperforationsartisten werden gerade einmal drei Seiten am Schluss gewidmet. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass ein Großteil dieses Gesprächs dem Interview in der Frankfurter Rundschau entstammt, mit Auslassungen, kleinen Verbesserungen und Hinzufügungen; Aktualität ist bei einem Abstand von vier Jahren jedenfalls nicht mehr gegeben. Die Tatsache, dass in der Bibliographie der auf das Gehirn anspielende Titel Grünbeins, "Falten und Fallen", als "Falter und Fallen" wiedergegeben wird, fügt sich somit leider ins Bild.

Titelbild

Durs Grünbein im Gespräch mit Heinz Norbert Jocks.
DuMont Buchverlag, Köln 2001.
78 Seiten, 10,10 EUR.
ISBN-10: 3770150929

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