Hörspiel des Monats März 1999

"Jenny" von John von Düffel, Radio Bremen.
Regie/Realisation: Gottfried von Einem.
Sprecher: Werner Wölbern, ''35.

Begründung der Jury:

"Malediven fest in ostdeutscher Hand" lautet die Überschrift eines Zeitungsartikels, der erscheint, noch bevor das Flugzeug mit dem urlaubenden Journalisten an Bord auf der Inselgruppe im Indischen Ozean gelandet ist. Ein paar flüchtige Beobachtungen am Frankfurter Flughafen reichen als Stoff für einen reißerischen Reisebericht, in dem es um Sonne, Meer und Deutsche im Ausland geht - vor allem aber um ein sechzehnjähriges, pubertierendes Mädchen aus Magdeburg: "Nein, kein Kosename, sie heißt seit Jahr und Tag auf gut deutsch Jenny und eilte damit dem Wunsch ihrer Eltern nach Fernreisen gleichsam voraus."

John von Düffel greift in seinem Hörspieltext mit leichter Hand in die Kiste nicht nur der Ost-West-Klischees. Sein Protagonist, der jung-dynamisch-rasende Reporter auf der Suche nach den "Ostdeutschen 99", genießt in seiner Sommerfrische die Freuden der pauschalen Vollpension, des Globetrotter-Pidgin-English und des Flirts mit der Lolita-gleichen Jenny. Über seine Erlebnisse berichtet er der heimischen Redaktion am Telefon. In diesen Ferngesprächen ist immer nur die Stimme des Reporters zu hören, doch dem Sprecher Werner Wölbern gelingt es auf eindrucksvolle Weise, die Geprächssituation zu simulieren und die Illusion eines Dialogs zu erzeugen - ein scheinbar simples und geläufiges Stilmittel wird hier brillant eingesetzt.

Überhaupt lebt das Hörspiel ganz entscheidend vom Vortrag Werner Wölberns. Er bringt die glitzernden Formulierungen und pointensicheren Wortspielereien John von Düffels zum Klingen und inszeniert den prasselnden Monolog als Drama in fünf Telefon-Akten. Wölbern fängt mit seiner differenzierten Sprechweise auch gelegentliche Untiefen des Textes auf, wo der Abstand zum Kalauer gering wird. Doch verstärkt dies nur den satirischen Zug der unverkrampft zeit- und medienkritischen Momentaufnahme aus Deutschland und der Welt: "Reisen bildet. Nicht nur den Reisenden, sondern auch die Bereisten." Das Stück treibt locker und leicht dahin, entwickelt aber zum Ende hin Spannung und Dynamik: Der Reporter kann die privaten und emotionalen Bedrängnisse nicht überdecken, die sein forscher Sensationsjournalismus auf professionelle, "coole" Weise auszublenden sucht. "Jenny" ist trotz seiner monologischen Form außerordentlich lebendig und erfrischend - im besten Sinn ein Boulevardstück.

literaturkritik.de Redaktion