Kartografie mentaler Zustände

Peter Stamm führt die Leser in seinem zweiten Roman durch eine "Ungefähre Landschaft"

Von Ulrich RüdenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Rüdenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fast erscheint alles zu transparent: kleine Lebenswelten, die in eine schneeweiße Landschaft gesetzt sind, eine Handvoll einfacher Menschen, die sich in der kargen Gegend Nordnorwegens einrichten müssen. Aber doch entsteht eine eindringliche Stimmung glanzloser Schwermut. Es geht also noch in ganz andere Regionen, als es der Titel vermuten lässt: Peter Stamms "Ungefähre Landschaft" verharrt nicht im Geografischen. Sein schmaler Roman zielt auf die Kartografie labiler mentaler Zustände. "Sein Leben", heißt es einmal in irritierender Knappheit von einem der Protagonisten, "war ein Strich durch die ungefähre Landschaft ihres Lebens."

Die Rede ist von Kathrine, der Hauptfigur in Peter Stamms neuem Buch. Die 28-jährige Zöllnerin ist geschieden, hat ein Kind, heiratet ein zweites Mal, einen fast zu perfekten jungen Mann mit Namen Thomas, der sich schließlich als Aufschneider entpuppt. Kathrine hat tatsächlich etwas Vages. Ihre unsichere Suche nach Glück ist eine Suche nach sich selbst. "Sie streunte durch ihre Erinnerungen. Es gab kein Vorher mehr und kein Nachher. Ihr ganzes Leben schien vor ihr zu liegen wie das Dorf." Bei Thomas findet sie sich nicht, mit ihm sammelt sie nur schlechte Erinnerungen. Thomas' Familie versucht, Kathrine im Dorf unmöglich zu machen. Die junge Frau tröstet sich mit ihrem besten Freund Morten, reist nach Frankreich, einer E-Mail-Bekanntschaft nach, und kehrt schließlich zurück zu Morten, lebt ein normales, ein ganz gewöhnliches Leben. Ob sie glücklich ist? Man erfährt es nicht, aber vielleicht findet sie eine Art von Ruhe, um das Prosaische des Alltags meistern zu können. "Es wurde Herbst und Winter. Es wurde Sommer. Es wurde dunkel, und es wurde hell."

Peter Stamm ist wie sein Lehrmeister Raymond Carver ein Künstler des Weglassens, das haben bereits sein Roman "Agnes" (1998) und der brillante Erzählungsband "Blitzeis" (1999) bewiesen. Seine Sätze scheinen auf den ersten Blick einfach und klar, fast schon zu karg, zu simpel. Aber welche Assoziationskraft sie um sich herum entwickeln und welche einnehmende und zugleich kühle Atmosphäre sie entstehen lassen. Die Geschichte von Kathrine ist kaum spannend zu nennen, nicht außergewöhnlich und nicht gerade spektakulär. Und doch folgt man ihr, vor allem aber der zurückgenommenen Sprache Peter Stamms mit unendlicher Anteilnahme und Gespanntheit.

Titelbild

Peter Stamm: Ungefähre Landschaft. Roman.
Arche Verlag, Hamburg 2001.
187 Seiten, 18,50 EUR.
ISBN-10: 3716022888

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