Prädikat: Besonders wertvoll

Helmut Kortes "Einführung in die Filmphilologie" ist ein neues Standardwerk

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An Einführungen in das Studium der Literatur herrscht kein Mangel, das genaue Gegenteil ist bei Einführungen in die Filmphilologie der Fall. Das dürfte ein Grund sein, weshalb Helmut Kortes "Einführung in die Systematische Filmanalyse" nun ein Jahr nach seinem ersten Erscheinen bereits in der zweiten Auflage vorliegt, und es ist ein Grund, sich mit dieser zweiten Auflage auch trotz nur geringfügiger Änderungen in einer Rezension zu beschäftigen.

Das Buch ist klar gegliedert: In Teil A werden auf rund 60 Seiten Grundlagen der Filmanalyse präsentiert, Teil B liefert vier ausführliche Beispielanalysen, Teil C eine ( und dies ist besonders hervorhebenswert ( informative und behutsam wertende kommentierende Liste weiterführender Literatur. Der benutzerfreundliche Eindruck setzt sich beim Lesen fort, der Stil ist sachlich, aber keineswegs trocken. Angesichts der überaus gelungenen Mischung an Information und Reflexion, unter weitgehendem Verzicht auf unnötige Fachterminologie, entsteht sogar eine Art Lesespannung: man möchte wissen, wie es weitergeht. In der Analyse von "Zabriskie Point" beispielsweise wird, höchst erhellend, der Kontext der Studentenproteste und Jugendbewegungen in den USA eingebracht. Hervorragende Wissenschaftsprosa also, von der sich manch anderer eine oder zwei Scheiben abschneiden kann.

Nach der Lektüre von Teil A fühlt man sich bereits hervorragend informiert. Dies ist zweifellos auch der wichtigste Teil des Buches, er hat das Zeug zur Standardlektüre in literaturwissenschaftlichen Kursen, die nicht nur das Medium Buch berücksichtigen wollen. Das Stichwort "Literaturverfilmung" muss jetzt fallen, allerdings sind, was Korte im Vorwort nachdrücklich anspricht, die Übergänge zur Medienwissenschaft heute fließend. Filme sind Texte, aus verschiedenen Sprachen zusammengesetzt. Die Komplexität des Zusammenspiels von Bild, Sprache, Musik, Kameraführung, Schnitt etc. ist ein Beleg dafür, dass literaturwissenschaftlicher Snobismus, der Filme als Phänomene der Massenkultur begreift und sein Heil in elitären Abgrenzungsstrategien sucht, möglichst bald der Vergangenheit angehören sollte. Auf der Höhe der Zeit ist auch die filmphilologische Position, die Korte einnimmt, wenn er feststellt: "Insofern führt der alte Streit zwischen den sogenannten 'harten' (quantitativen) und 'weichen' qualitativen Methoden nicht weiter. Denn es kann gar nicht darum gehen, die Subjektivität des Untersuchenden gegen eine vermeintliche Objektivität auszutauschen, die es im Sinne mathematischer Exaktheit hier ohnehin nicht gibt."

Wenn es überhaupt so etwas wie Kritik an dem Buch geben kann, dann vielleicht, dass Teil A hätte umfangreicher sein und man auf eine vierte Beispielanalyse hätte verzichten können; dass man die Beispielanalysen auch hätte nutzen können, um unterschiedlich gewichtende Zugangsweisen zum Medium Film vorzuführen (es gibt solche Unterschiede bereits, sie werden aber nicht thematisiert und herauspräpariert); dass nicht erklärt wird, weshalb genau diese Filme ausgewählt wurden. Eine Frage wäre, warum man erst 1969 einsetzt, eine andere, weshalb nicht bekanntere und im öffentlichen Bewusstsein zentralere Filme ausgewählt wurden. Kombiniert man beide Punkte, dann käme "Metropolis" oder "Citizen Kane" heraus (mit dem Beispiel "Psycho" ist freilich im Einleitungsteil so ein zentraler Film gewählt worden). Man kann sich Gründe für die Auswahl denken, fühlt sich in diesem Punkt aber ein wenig alleingelassen.

Was bleibt, ist, dieses Buch allen sehr nachdrücklich zu empfehlen, die sich über Grundlagen und Möglichkeiten der Filmanalyse informieren wollen.

Titelbild

Helmut Korte: Einführung in die Systematische Filmanalyse. Ein Arbeitsbuch.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2001.
245 Seiten, 16,80 EUR.
ISBN-10: 3503061150

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