Ich will, dass dein Herz hart schlägt

Die "Chronik der Gefühle" einer Jugendbewegung

Von Johannes SpringerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Springer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Den popkulturell wenig beflissenen, die Ungnade der zu späten Geburt für sich gar nicht erkennenden, New Wave nur als Neue Deutsche Welle identifizierenden, mit Nena assoziierenden und auf sogenannten 80er Jahre-Parties tanzenden Musikrezipienten müsste es beim Lesen dieses Buches wie Schuppen von den Augen fallen. Dass dieser Satz am Konjunktiv krankt, ist offensichtlich, ebenso einleuchtend sollte aber auch der Grund für den Gebrauch desselben seien. Eine Person, die sich lediglich auf dieses rudimentäre und oberflächliche Wissen über die Musik der späten 70er und 80er Jahre stützen kann, könnte gar nicht die Bedeutung des Punk ermessen, dem diese Chronik gewidmet ist. Der Punk sozialisierte in den 80ern viele Jugendliche und machte die elektronische Musik durch den revolutionären Synthesizereinsatz massenkompatibel und etablierte so eine Bewegung. Dieses Buch hat sich zur Aufgabe gemacht, die Genese des Punk, seinen Niedergang und die dann einsetzende Weiterentwicklung der Musik zu New Wave durch die Protagonisten der Punkbewegung nachzuzeichnen. Mit den Verantwortlichen dieser Bewegung (Musiker, Maler, Performancekünstler, Journalisten, Produzenten, Labelbetreiber usw.) wird eine, wenn nicht die Geschichte des deutschen Musikzirkus von 19761983 geschrieben. Eine plastische, packende Rekonstruktion gelingt Teipel, als würde man einen an Charakteren reichen, mit einer spannenden Dramaturgie versehenen, konventionellen Roman lesen, so treten die Schauplätze Düsseldorf, Hamburg und Berlin und die darin agierenden Menschen der Szene luzide vor das Auge des Lesers und gewinnen dadurch an Konturen. Das ist insofern reizvoll, als dass man einige Figuren mit Abscheu, Identifikation, Ärger oder Mitleid, also einem ganzen Register an Emotionen begleitet. Aber dieses unterhaltende Moment, das auf den dramatischen, spannungsintensiven Ablauf des Geschehens mehr Wert legt als auf Tiefgang, impliziert, dass Themen wie die Genderfrage im Punk oder Punk als "White Middle Class Fantasy" unbehandelt bleiben. Bei der zehnten Schilderung von Schlägereien zwischen Biercombos und Publikum und Pöbeleien wie ritualisiertem Rotzen auf Bands enerviert. Aber um die vor Kraft, Aggressivität und Männlichkeit nur so strotzende Bewegung zu konturieren, werden solche Begebenheiten inflationär ausgeweidet. Der Rezipient ahnt, mit den Attributen stumpfsinnig, prollig, unreflektiert und floskelhaft die adäquaten Bezeichnungen für diese Jugendkultur gefunden zu haben. Wahrscheinlich hätte dies zwar den im Punk dominanten Proletariatsstereotypen widersprochen (Martin Büsser spricht in seinem Buch "if the kids are united; Von Punk zu Hardcore und zurück" von solchen stolz zur Schau getragenen, ins Extrem überzogenen Arbeiterplatitüden wie Abneigung gegenüber Bildung und Theorie, Alkoholismus, Bandenkämpfen und sexistischem Vokabular) wäre aber einer sinnvollen Auseinandersetzung nicht eben abträglich gewesen. Etwas weniger "Frontberichterstattung", ein bisschen weniger Darstellung der Ränkespiele hätte vielleicht dem Lesefluss geschadet, dafür aber der Hintergrundschilderung genutzt. Wo dieses Backgroundwissen für erhellende Momente sorgt, ist der instruktive Charakter des Textes hergestellt. Die inhaltliche, aber besonders die äußerliche Abgrenzung gegenüber der 68er Bewegung, deren Ideen und Überzeugungen die gesellschaftliche Hegemonie errungen hatten, wird ausführlich als Initialzündung beschrieben, so dass "unlinke" Attitüden wie das Tragen rechter Symboliken so geschehen durch die Verwendung von Hakenkreuzen oder dem äußerlichen Hinwenden zum Militarismus durch kurzgeschorene Haare und Kleidungswahl, Fürsprache der betonierten, urbanen Welt und ähnliches, nachvollziehbar werden. Auch die punkimmanente Ablehnung von Rock, vor allem vom Dinosaurierrock der 70er mit seinem kultivierten Stargehabe, praktiziert durch minutenlange Gitarrensoli und sonstige musikalisch-technische Fertigkeiten, wird gut vermittelt. Die alternative Haltung, welche die Auflösung von Hierarchien zwischen Band und Publikum forderte, musikalischem Dilettantismus aus Gründen des "Jeder kann das" frönte und unerotischem, schmuddeligem Auftreten aus Distinktionsgewinn gegenüber Idolen oder Erotiksymbolen den Vorzug gab, wird gleichfalls skizziert. Ebenso wichtig ist die Ausführung zu der Inanspruchnahme des technischen Fortschrittes, der mit Synthezisern und ähnlichen elektronischen Instrumenten bis Skurilitäten sowie vereinfachten und für jedermann zugänglichen Aufnahmetechniken die Musik weiter demokratisierte und die Möglichkeit einer Unabhängigkeit von der Industrie durch produktionstechnische Aufrüstung postulierte.

Diese Fragen werden angerissen, das revolutionäre Potential dieser Jugendkultur dokumentiert, allerdings ist dies nicht das primäre Anliegen dieses Buches. Wie Monographien zu der Jugendkultur Punk auch in der Form von Interviews deutlich diskurslastiger werden können, wenn auch weniger unterhaltsam, das bewies schon Judith Amann in ihrem Buch "Who`s been sleeping in my brain?" von 1987. In diesem kommt z. B. Gabi Delgado, Sänger der wichtigen Düsseldorfer Punkband DAF, eher in seiner Rolle als Agitator und politischer Radikaldenker zu Wort, als auf der persönlichen Ebene wie in "VDJ", wo auf teilweise übertriebene Art auch das Liebes- und Privatleben thematisiert wird, im Falle Delgados seine homoerotische Beziehung zu Robert Görl, dem Schlagzeuger der Band. Trotz aller Redundanzen oder Auslassungen bietet das Buch eine ansprechende Chronik des Punk mit so unwesentlichen wie netten Randbeobachtungen, dass bei Blixa Bargeld, Chef der "Einstürzenden Neubauten", "vollgepisste Joghurtbecher neben dem Bett standen". Eine wichtige Quelle, um zu dokumentieren, dass Punk ursprünglich etwas anderes war als das, was heute z.B. "Die Toten Hosen", längst "zu Konservendosen ihrer selbst geworden" und sich selbst jährlich reproduzierend, verkörpern.

Titelbild

Jürgen Teipel: Verschwende Deine Jugend. Ein Doku-Roman zum deutschen Punk und New Wave.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
373 Seiten, 12,50 EUR.
ISBN-10: 3518397710

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