Mit Guido auf der Lümmelcouch

"Erlesene Orte" - photographische Impressionen prominenter Lieblinsgsleseecken

Von Michael GriskoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Grisko

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Argument für die vehemente Ablehnung des E-Books bestand in der Tatsache, dass man am Strand nicht lesen könne, ohne eine technische Panne zu riskieren, ein schnelles Nachschlagen und Querlesen ohne längere Vorbereitung unmöglich sei und auch die Lektüre im Bett die letzte sinnlich-authentische Qualität verlieren würde.

Nun ist die Erkenntnis, dass nicht nur die Materialität des Buches in Form des bedruckten Papiers, sondern auch der Ort der Lektüre für das eigentliche Leseerlebnis entscheidend ist, keine neue. Lesen ist und bleibt ein performativer Akt, in dem sämtliche räumlichen und zeitlichen, kurz inszenatorischen Rahmenbedingungen stimmen müssen. Dass diese wiederum höchst individuell und je nach Leseanlass variieren und demnach keine anthropologischen Konstanten sind, scheint, trotz einiger öffentlicher, meist sakraler Leserituale, evident.

Diesen Formen der privaten und beruflichen Inszenierung, der einsam-dialogischen Begegnung zwischen Mensch und Buch, war die Fotografin Ebba Dangschat auf der Spur. Mehr als 50 Prominente, meist aus dem kulturellen Leben Deutschlands, waren gefragt, wurden fotografiert und sollten ( weit entfernt von dem Charakter einer banalen Yellowpress-Homestorie ("Und wo machen Sie es am liebsten?") ( Einblick in ihre privaten Lese- und Lebensarrangements gewähren.

Die unaufgeregten und unangestrengten Porträts entwickeln einen eigenen, bisweilen unterhaltsamen Raum. Ein literarischer Text, vom Porträtierten selbst ausgesucht, und der Versuch einer schriftlichen Annäherung der Fotografin gehen über eine simple Promi-Anthropologie des Bildes hinaus ( ohne sie jedoch gänzlich hinter sich zu lassen.

Während der Leiter des ZKMs in Karlsruhe, Peter Weibel, als Datendieb in der Buchhandlung auftritt, während das Dauer-Enfant-Terrible Christoph Schlingensief als Reclam-Held der Baustelle erscheint, ist die größte Überraschung wohl Guido Westerwelle. Mit korrekt gebundenem Schlips und akkurater Bügelfaltenhose auf einer ins Violette tendierenden Couch sitzend, kommentiert er sich mit den Worten: "Lesen bedeutet für mich zu 95% Arbeit, zum Rest entspanntes Abtauchen in die Fantasie. Auf meiner Lümmelcouch kann man sich mit fünf Kissen herrlich akrobatisch flegeln."

Neben dieser unfreiwilligen Komik bleibt ein visuelles und unprätentiöses Plädoyer für eine der ältesten Kulturtechniken der Zivilisation, das sich letztlich nicht ganz vom Charakter des medienunterstützten Prominenten-Populismus unserer Tage befreien kann. Ein Buch, ansprechend fotografiert und layoutet, zum Verschenken und zum Lesen am Sonntag.

Titelbild

Ebba Dangschat: Erlesene Orte.
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2002.
204 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 380672881X

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