Die Zukunft wird auch ohne mich auskommen

Ruth Picardie nimmt öffentlich Abschied vom Leben

Von Stefanie Regine BrunsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Regine Bruns

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ruth Picardie lebt in einer wunderbar heilen Welt. Sie ist eine erfolgreiche Journalistin, glücklich verheiratet und vor kurzem Mutter von Zwillingen geworden. Doch dann findet das Glück der selbstbewußten, jungen Frau ein jähes Ende: Bei ihr werden bösartige Krebstumore diagnostiziert, die schnell wachsen. Ein knappes Jahr später stirbt Ruth Picardie.

Ihr Buch "Es wird mir fehlen, das Leben" ist eine Sammlung aus ihrer E-Mail-Korrespondenz, ihren Artikeln aus der Tageszeitung "Observer", in denen sie den Verlauf ihrer Krankheit beschreibt, und Briefen von Lesern, die ihr Trost zusprechen. Aus der überwältigenden Resonanz auf ihre Kolumnen ist aber auch ersichtlich, wie vielen Menschen sie Mut zugesprochen hat, die entweder selbst betroffen sind oder schwerkranke Angehörige haben. Dabei sind ihre Artikel nie sentimental oder pathetisch geschrieben, sondern eher gelöst und humorvoll, manchmal auch fast zynisch und bewußt provozierend. Wenn Ruth Picardie andere Krebskranke "traurige, glatzköpfige Säcke" nennt, fragt man sich schon, ob sie sich nicht etwas respektvoller äußern könnte, auch wenn sie selbst todkrank ist. Sowohl in ihren Briefen als auch in ihren Kolumnen fällt ihre lapidare Art auf, mit der sie über die Verschlechterung ihres Zustandes und den nahenden Tod schreibt. "Super. Ich werde sterben, aber erst werde ich noch irre", so lautet beispielsweise ihr Kommentar, als bei ihr ein Hirntumor festgestellt wird. Mit dieser Sprache wehrt sich Ruth Picardie gegen jede Form von Mitleid. Sie will noch so lange wie möglich ein ganz normales Leben mit ihrer Familie führen, noch ein Interview mit George Clooney führen, im Fernsehen "Emergency Room" gucken und ausgedehnte Shopping-Streifzüge durch London unternehmen.

Gleichzeitig wird ihr Leben nun aber von Bestrahlungen, Medikamenten und faulen Sozialarbeitern bestimmt. Als es ihr schlechter geht, investiert sie Unsummen in Heilwässerchen von Wunderdoktoren und Scharlatanen und läßt sich auf komplizierte Diäten und Kuren ein, denn "die panische und verzweifelte Hoffnung eines krebskranken Mädchens kennt keine Schranken". Als alles nichts hilft, entwickelt sie ihre eigene Therapie: Sie kauft sich sündhaft teure Kosmetikprodukte und ißt all das, was sie sich früher mit Rücksicht auf ihre Figur nie erlaubt hat. Kurzum, sie versucht, das Leben noch soviel wie möglich zu genießen. Doch schon bald werden sowohl Ruth Picardie als auch der Leser von der erschreckenden Wirklichkeit eingeholt. Einer ihrer Zeitungsartikel bricht urplötzlich ab. Es folgt ein Nachwort ihres Mannes, in dem er erklärt, daß seine Frau leider schon zu schwach war, um diese Kolumne noch zu Ende zu schreiben. Er erzählt von ihren letzten Tagen, ihrer Einlieferung ins Krankenhaus, ihrem späteren Aufenthalt in einem Hospiz, ihrem geistigen und körperlichen Verfall und schließlich von ihrem Tod.

Ruth Picardies Lebensfreude ist beeindruckend. Zugleich fühlt man sich von ihrer oft provozierenden Ausdrucksweise angegriffen. Sie bricht das Schweigen, das gerade heute Krankheit und Tod umgibt, und wendet sich mit ihren Artikeln und dem noch zu ihren Lebzeiten geplanten Buch an die Öffentlichkeit. Sicherlich wird dieses Buch, wieder einmal die Diskussion aufkommen lassen, inwiefern hier eine "ungehemmte Zurschaustellung privaten Kummers" stattfindet, was Picardies Mann verneint.

In jedem Fall ist Ruth Picardies Vermächtnis eindrucksvoll, und bisweilen anrührend (z.B. in den Abschiedsbriefen an ihre beiden Kinder). Ihr trockener Galgenhumor ist gepaart mit bewundernswerter Tapferkeit, mit der sie das Unausweichliche in seine Schranken weist - mit einem Hohnlachen.

Titelbild

Ruth Picardie: Es wird mir fehlen, das Leben.
Wunderlich Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999.
176 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3805206615

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