Geschlechterdiskurse der Aufklärung und weibliche Lebenswelten

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nachzuweisen, dass der Geschlechterdiskurs der Aufklärung "vielstimmiger" gewesen war, als bislang von der Forschung wahrgenommen, und die "intellektuellen und sozialen Voraussetzungen, Bedingungen und Folgen dieses Diskurses vornehmlich mit Blick auf die weiblichen Lebenswelten" zu untersuchen, sind die beiden zentralen Anliegen des von Claudia Opitz, Ulrike Weckel und Elke Kleinau herausgegebenen Sammelbandes "Tugend, Vernunft und Gefühl". Die Herausgeberinnen haben aus Vorträgen, die im Laufe mehrerer Jahre auf Kolloquien an den Universitäten von Hamburg und Basel gehalten wurden, sechzehn ausgewählt und den beiden Rubriken "Ehe und Mutterschaft, Körper und Sexualität" sowie "Gleichheit und Differenz, Vernunft und (Frauen-)Bildung" zugeordnet. Hiermit sind auch schon die zentralen Themenkomplexe des Bandes genannt.

Die Beitragenden beleuchten meist einzelne Begriffe, eng gefasste Frage- oder Problemstellungen oder sie wenden sich bestimmten AutorInnen zu. So untersucht Sylvia Schraut die "Ehe- und Liebeskonzepte der Katholischen Reichsritterschaft im 17. und 18. Jahrhundert", Pia Schmidt beleuchtet die Bestimmung zur Mutterschaft nach Almanachen für das weibliche Lesepublikum um 1800, und Gerlinde Volland durchstreift die Gärten in der Literatur und Realität des 18. Jahrhunderts unter dem Aspekt der "Gartengestalterin". Zu den untersuchten AutorInnen zählen etwa der Earl of Shaftesbury, in dessen Philosophie der Gefühle Angelika Baum zwar emanzipatorische Momente ausmacht, die aber dennoch die Grundlage für die Physiologisierung der weiblichen 'Natur' bereitstellte. Brigitte Christensen macht in den Texten des verschrieenen Materialisten Julien Offray de La Mettrie gar radikal-emanzipatorische Ideen aus und Wolfram Malte Fues findet in der vergessenen Berner Salionère Julie Bondeli eine "ebenso feinfühlige wie spöttische Kritikerin" des männlichen Selbstverständigungsprozesses über die Vernunft vor. Auch Theodor Hippel, seines Zeichens Königsberger Bürgermeister und zudem gern gesehener Gast an der Tafel Immanuel Kants wird gewürdigt. Die Rezeption seiner Emanzipationsschriften "Zur bürgerlichen Verbesserung der Weiber" und "Über die Ehe" - letztere anonym erschienen und von Zeitgenossen schon mal seinem Freund Kant zugesprochen - , wird von Ulrike Weckel nachgezeichnet, ebenso die Aufnahme der englischen Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft im Deutschland der Aufklärung.

R. L.

Titelbild

Claudia Opitz: Tugend, Vernunft und Gefühl.
Waxmann Verlag, Münster 2000.
366 Seiten, 25,10 EUR.
ISBN-10: 3893258442

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