Literarisches Clubbing

Macht ist organisierte Literatur aus Hamburg

Von Blanka StolzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Blanka Stolz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

We got what it takes. Das einzige, was wir nicht haben, ist Macht - so definiert sich ein Zusammenschluss von Autoren, Verlegern und Veranstaltern aus der Hamburger Off-Szene, die nun eine Anthologie mit dem bezeichnenden Titel "Macht. Organisierte Literatur" mit Kurz- und Kürzestgeschichten von 28 Autoren und Autorinnen vorgelegt haben.

"What is your hometown, fragt sie. Hamburg, sage ich stolz, a big town in Northern Germany. Maybe you heard about the Reeperbahn. No, sagt sie, I only heard about Berlin. Berlin is cool. Yes it is, sage ich." Zwar gibt sich der Protagonist gegenüber dem Mädchen aus Ljubiljana in Michael Weins Text "Sarajevo" geschlagen, wenn es um die Coolness von Berlin und Hamburg geht. Im Vergleich zu Ostberliner Prenz'lberg-Lyrik ist Hamburg jedoch keinesfalls literarische Provinz. Neben (und nach) Hans Henny Jahnn und Hubert Fichte ist eine lebendige Literaturszene mit Programm gewachsen, die auf den Bühnen Hamburger Clubs lebt und sich ganz eigene literarische Prinzipien auferlegt: 1. Adjektive sollen vermieden werden. 2. Gefühle sollen nicht benannt, sondern dargestellt werden. 3. Gebräuchliche Metaphern sind verboten. 4. Es muss im Präsens geschrieben werden. 5. Ein Satz darf nicht mehr als fünfzehn Wörter haben. 6. Die Perspektive darf nicht gewechselt werden. 7. Der allwissende Erzähler ist tot. 8. Jeder Text, der das Hamburger Dogma erfüllt, soll vom Autor als solcher gekennzeichnet werden.

Verfasst nach eben diesen Regeln des Hamburger Dogmas sind die Texte von Verena Carl, Lou A. Probsthayn, Sven Amtsberg und Gunter Gerlach. Anscheinend ist es Mode geworden ist, dass sich eine Gruppe von Autoren in der Diskussion um den Zustand der Literatur einen Lehr- und Glaubenssatz als Garant für Qualität auferlegt. Naturgemäß lesen sich literarische Dogmen streng und überzogen. Das Hamburger Dogma soll jedoch Anlass für ein Experiment sein, die Sprache und die Erzählstruktur der Literatur zu erneuern, indem es die Form des erzählerisch dargestellten begrenzt, um der Phantasie der Autoren wieder zu mehr Freiraum zu verhelfen, um auf inhaltlicher Ebene wieder zu mehr Vielfalt zu gelangen. Vor diesem Hintergrund wirken die Texte dann ganz und gar nicht regelhaft. Vielmehr spiegelt sich in ihnen die ganze Bandbreite literarischer Gestaltungsmöglichkeiten wieder. Die Geschichten sind mal komisch und mal traurig, mal realistisch, mal verstörend und manchmal vollständig abwegig. In Verena Carls "Think Pink", tauchen Kleiderschränke aus den 80ern mit Pferdeaufklebern auf, wo Partys altmodisch sind und man lieber Feten feiert, "Mädchen" liest und sogar Marc eine pinkfarbene Jacke trägt; wo sich immer dieselbe Liedzeile auf dem Plattenteller wiederholt bis die Freundin zu New Wave überläuft und jetzt die gleiche Musik wie ihr neuer Freund hört. Oder Sven Amtsbergs Kurzhorrorgeschichten, die gerade deshalb so schockierend wirken, weil er in lapidaren, simplen Sätzen erklärt, dass man Engel wird, indem zwei Schwanenflügel an den Rücken genäht werden.

Daneben finden sich Autoren, die mit ihren Texten das Hamburger Dogma nicht unterzeichnen. Zwischen Hanno Wulfs nur allzu bekanntem Party-Panoptikum und Markus Wieses "Dolores" scheint immer wieder Hamburg durch, wenn auch nicht immer so explizit wie in Joachim Bitters "Ich bin Exilierter des Viertels", wo hart an der Grenze zwischen Peinlichkeit und Zustimmung "Blumfeld"-metaphern gedroschen werden, so dass auch Nicht-Ortsansässige mitnicken können.

Das Buch ist trotzdem kein Stadtführer für Hamburg: überraschend viele der Geschichten sind in den USA verortet. Das große Land bei Lars Dahms, wo die Autos umso kleiner werden je japanischer sie sind, wo man mit dem rechten Daumen Auto fährt und dabei die Richtung verliert und wo Indianer ihren Vorgarten mähen. Oder es sind die austauschbaren Städte Benjamin Maacks, in denen man die Sommerferien verbringt, auf die Stimmfrequenzen der anderen eingestellt mit zeitgemäßen Plastiktüten in der Hand. "Melodien im Rauschen und Piepen / eines Modems.; Aber die wenigen Momente des In-sich-Gehens / sind die vor Spiegeln und Schaufenstern oder in H&M-Umkleidekabinen." Während Maacks als einer der wenigen seine Texte in Gedichtform präsentiert, entscheidet sich das Gros der in der Athologie vertretenen Autoren, wie z. B. Tina Uebels mit ihrer wunderbar amüsant-bösen Geschichte "Nachdenken über Zwerge oder Ich komme ins Fernsehen", für das übliche Kurzgeschichten-Format. Es überrascht nicht, dass einige Autoren aus dem "Macht"-umfeld wie Tina Uebels, Jürgen Noltensmeier, Stefan Beuse, Michael Weins und Karen Duve mittlerweile zu längeren Formaten gefunden und selbständige Publikationen herausgebracht haben.

An Stelle eines Nachworts wird ein "Macht"wort gesprochen: "Schreiben, Auftreten, Veröffentlichen" ist das Motto der Macher. Die Macht und die organisierte Literatur, die der schwarze Textband verspricht, ist also rein literarisch gemeint: lockere Atmosphäre und Kommunikation zwischen den Autoren und mit dem Publikum sollen eine entkrampfte Öffentlichkeit für Literatur herstellen und den "Macht e.V." auch überregional bekannter machen.

Dogma hin oder her - auf den Bühnen des literarischen Clubbings lesen die "Macht"-Autoren in aller Uneinigkeit über Stil und Inhalt zwischen Underground und Hochkultur und wir warten auf ähnliche Anthologien aus anderen Städten und Clubs der Republik!

Titelbild

Macht. Organisierte Literatur.
Herausgegeben von Olaf Irlenkäuser.
Rotbuch Verlag, Hamburg 2002.
286 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-10: 3434531025

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