Nichts wunderlicher und toller als das wirkliche Leben

Katrin Bomhoff über E. T. A. Hoffmanns poetische Selbstreflexionen

Von Arnd BeiseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Arnd Beise

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der deutschen Literaturgeschichte genoss E. T. A. Hoffmann lange Zeit keinen besonders guten Ruf. Er galt vielen als eher trivialer Schauer-Romantiker, ungeachtet schon Heinrich Heine ihn als fantastischen Realisten von der eigentlichen Romantik abgrenzte und ihn als bedeutenden Autor pries. Inzwischen aber wird er überwiegend als ungeheuer moderner Schriftsteller geschätzt, der es verstand, mit artistischer Virtuosität auf den Zweifel an der Erzählbarkeit der Welt zu reagieren, indem er zunehmend die Frage nach dem Sinn mimetischer Erzählverfahren in der Erzählung selbst aufhob, aber ohne dass diese weniger unterhaltend würde.

Das Moment der Selbstreflexivität in Hoffmanns Erzählungen wurde zwar stetig stärker, war aber schon von allem Anfang an vorhanden. Seine eigene Poetik reflektierte Hoffmann mittels der verschiedensten Künstlerfiguren, wobei es relativ gleichgültig war, ob es sich um Schriftsteller, Musiker oder Maler handelte: dem Multitalent Hoffmann standen sie alle gleich nah.

Katrin Bomhoff greift in ihrer Untersuchung nun das Verhältnis zu zweien von ihnen heraus, von denen sie sagt, es seien die wichtigsten Bezugsfiguren für Hoffmann gewesen: Zum einen der französische Grafiker Jacques Callot (1592-1635) und zum andern der italienische Maler und Zeichner Salvator Rosa (1615-1675).

Was den ersten angeht, ist diese These weder neu noch originell, denn Hoffmann selbst nannte seine erste Buchveröffentlichung "Fantasiestücke in Callot's Manier" und eröffnete diese Sammlung verschiedener Erzählungen mit einem programmatischen Aufsatz über den "kecken Meister" des 17. Jahrhunderts. An ihm reizte Hoffmann "die besondere subjektive Art", mit der er Wirklichkeit wahrnahm und künstlerisch umsetzte. Vor allem die Ironie und Groteske in Callots Blättern hatten es Hoffmann angetan, sowie dessen Fähigkeit, noch "das Gemeinste aus dem Alltagsleben" fremdartig oder fantastisch erscheinen zu lassen. Die Liebe zu Callot war bei Hoffmann, das betont Bomhoff auch ausdrücklich, keine momentane Vorliebe; vielmehr ist sie Ausdruck des poetischen Selbstverständnisses des Autors und grundiert seine gesamte Arbeit bis hin zu den letzten Erzählungen. Entscheidend für Hoffmanns Hochschätzung Callots war nach Bomhoff eine verwandte Wirklichkeitsauffassung, "die jederzeit mit dem Einbruch einer anderen Realität in die bestehende" rechnet, und darauf mit fantastisch-grotesken Figurationen reagiere.

An Salvator Rosa hingegen habe Hoffmann, so Bomhoff, weniger die auch hier vorhandenen grotesken Gestaltungselemente gereizt, sondern vor allem die Künstlerpersönlichkeit. Aus verschiedenen Biografen des Malers suchte Hoffmann die Episoden und Anekdoten heraus, die es ihm erlaubten, jenen in eine exemplarische romantische Künstlerfigur (artistische Mehrfachbegabung, satirisches Genie, Bekanntschaft mit den Nachtseiten des Lebens, gesellschaftliche Außenseiterrolle, kontrastive Darstellungsweise) zu verwandeln. Neben gelegentlichen Erwähnungen in anderen Erzählungen ist es vor allem die Novelle "Signor Formica", die Bomhoff auf Hoffmanns Selbst-Spiegelung in der Figur des Malers befragt, natürlich weil dieser selbst in der Novelle die Hauptfigur ist: "Signor Formica" (Herr Ameise) war das Pseudonym, unter dem Rosa als Schauspieler auftrat. Dabei wird Salvator Rosa in Bomhoffs Darstellung zu einem Vertreter des "serapiontischen Prinzips", das in der Rahmenerzählung der "Serapions-Brüder" mehrfach angesprochen wird und als Bezeichnung für Hoffmanns poetologische Grundsätze gelten muss: nämlich auch das vielleicht nur in der Einbildung Geschaute als Geschautes ernst und für wirklich zu nehmen und mit abermals "kecker Faust" in ein malerisches oder poetisches, jedenfalls "lebendiges Bild" zu bringen, in dem Fantasie und Realität sich schwerlich mehr trennen lassen ("dichterisches Schauen" im Gegensatz zur "historischen Betrachtungsweise").

Dies ist so weit auch alles ganz einleuchtend. Frappierend ist aber Bomhoffs dialektische Volte, die Novelle "Signor Formica" zum Mittelpunkt des gesamten Erzählungs-Zyklus zu erklären, eben und gerade weil hier grundlegende poetologische Maximen Hoffmanns nicht zur Anwendung kommen und das serapiontische Prinzip außer Kraft gesetzt sei. Ansonsten aber kann man Bomhoff in der Regel folgen. Es gelingt der Autorin durchaus, in der Beschreibung von Hoffmanns Rezeption dieser beiden Künstler bzw. ihrer Werke ein umfassendes Bild von dessen Poetik zu entwerfen, wie sie es sich in ihrer Einleitung vornimmt.

Ihre Grundthese ist schlicht: In Hoffmanns Interesse an den beiden bildenden Künstlern des 17. Jahrhunderts artikuliere sich der Wunsch nach "uneingeschränkter Aussprache über sich selbst" sowie die Prinzipien der eigenen schriftstellerischen Arbeit. Nun sind diese allerdings nicht unbekannt, und Bomhoff setzt dem bisherigen Verständnis von Hoffmanns Poetik auch kein neues entgegen. In ihrem Buch begegnet uns ein E. T. A. Hoffmann, mit dem man schon länger vertraut ist. Immerhin könnte es sinnvoll sein, die gängigen Interpretationen einmal konzentriert zusammenzufassen, jedoch ist dies nicht geschehen. Im Gegenteil: Die vielfach redundante Darstellung ermüdet auf Dauer ziemlich. Auch überstrapaziert die Autorin gelegentlich ihr eigenes Prinzip, Rezeptionsspuren von Callot und Rosa auch dort zu finden, wo sie allenfalls untergründig wirksam werden. Wenn die Darstellung dann auch noch in leere Phrasen abgleitet (zum Beispiel: "Callots Manier beschränkt sich eben nicht auf die Vivifikation von Bildwerken, sondern faßt in sich Wesensgesetze der Dichtung Hoffmanns zusammen [...] - Widerspiegelungen, die den malenden, auf sich selbst verweisenden Dichter und den auf diese Weise dichtenden Maler hervortreten lassen"), fragt man sich dann doch, ob man seine Zeit nicht sinnvoller anwenden könnte, als ausgerechnet Bomhoff zu lesen: zum Beispiel E. T. A. Hoffmann lesend, "dessen Phantasie" (wie Heine sagte) "von weltumfassender Weite, dessen Gemüt von schauerlichster Tiefe und dessen Darstellungsgabe" vor allem "so unübertrefflich war".

Titelbild

Katrin Bomhoff: Bildende Kunst und Dichtung. Die Selbstinterpretation E. T. A. Hoffmanns in der Kunst Jaques Callots und Salvator Rosas.
Rombach Verlag, Freiburg 1999.
280 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3793092003

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