Quaerendo invenietis oder: Wie die Findung die Suche ist
Benedikt Ledebur zeigt uns mit seinem Werk den Weg, kunstvoll ein Nicht-Buch zu opfern
Von Manuel Pfürtner
Benedikt Ledeburs Werk "Poetisches Opfer" ist ein sowohl mathematisches als auch lyrisches Kunstwerk, das - in Gedichtform - aus sieben Zyklen von sieben siebenzeiligen Rondellen besteht, die mit einem Kranz von Sonetten umgeben sind. Es ist ein elitär-kompliziert gebauter geometrischer Tempel, der, ähnlich wie die perspektivische Täuschung im Bild, nur in der Poesie eine Realität annehmen kann - Kreise, die sich in andere Kreise verschließen, diese aber gleichzeitig umwinden.
Der Inhalt sowohl der Rondelle als auch der Sonetten ist eine schwer überschaubare Vielzahl von Sinnansätzen aus Theologie, Mathematik, Musik und Phantasie, die von einer Faszination für die Sprache an sich durchflossen sind. Trotz dieses kunstvoll gewobenen Aufbaus und des klangvollen Inhalts liegt die Großartigkeit dieses Werkes nicht in dem, was im Buch steht, sondern gerade in dem, was nicht in dem Buch steht. Denn jegliche Sinnsuche auf herkömmlichen Wegen, deren Richtung und Boden die gefundenen Ansätze sind, wird geschickt aus den Angeln gehoben, um gezielt einen Sinn zu verhindern.
In der Erkenntnis, daß Sprache zu schwach ist, um Weisheit zu tragen, und daß jeder Sinn eine weitere Begrenzung des Menschen ist, hat Ledebur eine Möglichkeit entdeckt, den Leser zum Wachsen zu bewegen, ohne ihn von einer Sinnregelzwangsjacke direkt in die nächste zu befördern: "Quaerendo invenietis" als Abwandlung der biblischen Weisheit "quaerite, et invenietis" - statt dem "suchet, so werdet ihr finden" das "suchenderweise werdet ihr finden" - gibt dem Leser eine Möglichkeit, in das Buch einzutreten und dort zu finden, was er selbstsuchend selbst in sich trägt, und dieses dennoch nicht als Absolutes, als Begrenzungsregel aufzustellen, sondern es - so wie Ledebur jegliche Sprach-Regeln übergeht - direkt wieder zu übergehen, bis sich die Nicht-Findung als Findung herausstellt.
Gerade durch diese Erkenntnis muß aber das Buch jeglichem Sinn enthoben, die Sprache nicht als Übermittler sondern als Farbe für den Pinselstrich der Poesie verwendet und schließlich die Erkenntnis kunstvoll um ihrer selbst Willen geopfert werden, "bis sie, womit sie spielen, selbst intonieren".