"Naturwesen" und "Augenmensch"

Vor hunderteins Jahren wurde der Schriftsteller Heinrich Hauser geboren

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Buch ist 'ne Wucht, sagte man früher. Meinte "Robinson Crusoe", "Die geheimnisvolle Insel", den "Seewolf". Bei Heinrich Hausers Sätzen fällt einem die alte Formulierung wieder ein: "Ich traf einen großen Stein. Er war doppelt so groß wie ein Mensch, er lag am Boden neben einem verrosteten Eisentor bei Doe Castle, County Donegal, eine Meile von der Küste." Lapidar, mit einem Grave espressivo beginnt sein Buch "Donner überm Meer" von 1929.

Der ganze Mann muss eine Wucht gewesen sein: ein Querkopf, ein Provokateur, rücksichtslos, ein Frauenschwarm, kantig, querulantisch. Dabei geradezu klischeehaft männlich: ruhelos, einsamkeitsbedürftig und reisesüchtig; sein Ziel, totale Unabhängigkeit und das Einssein mit dem Leben, immer nur für Augenblicke erreicht. Aus seinen Selbststilisierungen lassen sich die Lebensstationen nicht eben einfach rekonstruieren, doch soviel steht fest:

In Berlin 1901 geboren, Abitur in Weimar, kurz Kadett in Kiel, dann Freikorps-Soldat; bis 1926 Arbeit im Kohle- und Stahlrevier, ein paar Semester Studium und als Matrose auf Fahrt. 1925 erscheint sein erster Roman "Das zwanzigste Jahr" bei Kiepenheuer und erste Reportagen in der "Frankfurter Zeitung". 1928 veröffentlicht S. Fischer seinen erfolgreichsten Roman, "Brackwasser" (zweimal verfilmt), ein Jahr darauf "Donner überm Meer". Hauser beginnt zu filmen und zu fotografieren ("Das schwarze Revier"), fährt 1930 mit der "Pamir" um Kap Horn, schreibt darüber "Die letzten Segelschiffe" und dreht den Dokumentarfilm gleichen Titels; ein ähnliches Doppelprojekt entsteht 1931 über Chicago, das von Rudolf Arnheim mit Ruttmanns "Sinfonie einer Großstadt" verglichen wird. Von 1933 bis 1938 verfasst er Industrieschriften, Reisereportagen und arbeitet als Testfahrer für Opel. Zwar nähert er sich den Nationalsozialisten an, entscheidet sich jedoch 1938 zur Emigration nach Amerika, wo er mit Gelegenheitsjobs, als Farmer und nach kurzer Zeit wieder als Autor, diesmal in Englisch, seinen Lebensunterhalt verdient. 1945 provoziert sein politisches Pamphlet "The German talks back" die amerikanische Öffentlichkeit, in dem er die Alliierten scharf kritisiert und Deutschlands Rückkehr zum Agrarstaat vorschlägt. 1948 kehrt er nach Deutschland zurück, weil ihn Henri Nannen als Chefredakteur des neu gegründeten "Stern" anstellt - ein Intermezzo, das nach wenigen Monaten aus unbekannten Gründen endet. Weitere Bücher und Nacherzählungen erscheinen, Geld bringen vornehmlich Firmenschriften. Am 25. März 1955 stirbt Hauser in Dießen am Ammersee.

Nicht allen Menschen bekommt das Zusammentreffen mit diesem deutschen Jack London. Fünf Ehen schließt Hauser, seine Kinder sehen den Vater nur sporadisch. Schwer zu ertragen muss seine Sprunghaftigkeit und Unzufriedenheit gewesen sein, noch schwerer, seine unbezähmbare Lust an manchmal üblem Schabernack: So zwang er im April 1933 den bedrängten S. Fischer Verlag, eine Widmung an Hermann Göring - "dem ersten deutschen Luftfahrtminister, Sieg Heil!" - in sein Buch "Ein Mann lernt fliegen" aufzunehmen. Die voraussehbaren Folgen nahm er hin: "Niemals", schreibt Gottfried Bermann Fischer, "habe ich Hauser diesen bösen verräterischen Streich verziehen, und ich trennte mich von ihm."

Der Autor und Filmer Liam O'Flaherty (nicht Robert!) aber geriet in Verzückung über Heinrich Hauser: "Just as the hurricane comes suddenly out of the ocean, bringing with it terror of its strength, joy at its speed and its vitality, and amazement at the force of life that can produce such a phenomenon, so did I meet this man..."

Da trafen sich zwei, die einander als gleichwertig, gleichgesinnt erkannten. Viel lernte Hauser von O'Flahertys Stil - er übersetzte 1928 "The Informer", 1930 "The Return of the Brute" und 1931 "The House of Gold" -, zusammen durchstreiften sie Dublin, dann das Umland, schließlich nahm der Ire ihn mit auf die heimatlichen Aran Inseln. "I felt", heißt es bei O'Flaherty, "that if his presence made the scene vulgar, robbed it of its tremendous age or if he reacted in an alien way I could no longer believe in him. But he fitted in.Then I was certain that he was a genius and that he would do wonderful things."

Dennoch war Hauser kein Naturbursche. Benno Reifenberg, der sein Mentor bei der "Frankfurter Zeitung" war, trifft es im Nachruf, wenn er von dem "Naturwesen", dem "Augenmenschen" Hauser spricht. Und der konnte keinen unversöhnlichen Gegensatz zwischen Natur und Maschine sehen. Er spottete der - auf Schreibmaschinen formulierten - intellektuellen Technophobie. Er liebte und verstand die Motoren, "fand in jeder Maschine ihren punctum saliens heraus, die Stelle, die für den erfinderischen Einfall, der die Maschine zeugte, entscheidend gewesen war." (Reifenberg)

Da der Mann vergangen ist, bleibt nur die Spur seiner Werke. Lange schien sie fast verwischt, doch in den letzten Jahren entdeckte man den Fotografen und Filmer Heinrich Hauser wieder, im Internet gibt es eine Homepage (heinrich.hauser.de) und weit über hundert lohnende sites. Die gut dreißig Bücher - spätexpressionistische Romane, Reiseberichte, Reportagebücher, Industriepublikationen für die Opel-Werke, Nachdichtungen, Autobiografisches - sind dagegen alle nur noch antiquarisch zu finden.

Jetzt allerdings kann man Hauser wieder in nuce (und in welch schöner Nuss!) erfahren, indem man zum wieder aufgelegten "Donner überm Meer" greift, einer Mischung aus Roman, Reportage und Poetologie, 72 Jahre jung.

In irischer Küstenlandschaft, deren nebelnasse Kälte in den Leser kriecht, sucht ein Mann einen Romananfang. Er findet die Figur des Fliegers Fonk, später die der modernen Großstadtfrau Lala. Ein Kapitel über Start und Flug schließt sich an, eine Hymne auf das Flugzeug: "Er verfolgte die Krümmung der Auspuffrohre, die wie dicke Schlagadern am Motor zusammenliefen. Wie schön waren sie, schön wie der gewölbte Brustkorb der Kühlrippen, denen sie entwuchsen..." Hauser kombiniert Episoden der Flieger-Geschichte mit den genauen Beobachtungen des Schriftstellers in Irland, spielt mit der Engführung von beidem.

Neusachlichkeit fällt einem automatisch ein, doch Hausers romantische Ader, seine Lust am Emphatischen führt darüber hinaus.

Unvergesslich schildert er das Zwiegespräch zwischen kranker Hure und Flieger oder den Tod von Tieren: einem Schaf am Strand, das gerade geworfen hat, einer Katze im Dubliner Slum, einem Windhund beim Rennen. Reporterhafte Neugier geht bei ihm unvermittelt über in Mitleid, dann in Aggression über das Sterben. Ein kalter, spöttischer Humor mischt sich darein und ein sezierendes Interesse, das plötzlich wieder umschlägt in Faszination. Die ärmlichen Viertel, die werbenden, singenden Heilsarmeesoldaten, die Trinker und Bettler, die zerlumpten Kinder, das lässt Hauser den Leser - mit wechselnder Optik - in aller Schärfe sehen. Schon Kasimir Edschmid nannte "Donner überm Meer" einen "optischen Roman".

Man findet in dem Buch viele andere Hauser-Themen, das Hohe Lied der Männergemeinschaft und ihrer "reinen Atmosphäre", die Suche nach dem Gefühl der perfekten Harmonie, die Ästehtik und das Leben der Technik, das Abenteuer des Meeres, die Lust an Selbstgeschaffenem und Autarkie.

Das Zeitverhaftete des Buches fällt dabei nicht ins Gewicht, denn Hauser ist viel mehr als ein großartiger Schilderer von Natur- und Maschinenstimmungen, mehr als nur ein vergessener Neusachlicher, er ist ein großartiger Stilist. "Er erneuert die deutsche Sprache", meinte Johannes V. Jensen 1931. In der Tat steckt der Rhythmus seiner Syntax an, man meint die Phrasierung zu spüren: Es klingt wie Martellato, dann sinkt es wieder ins Legato zurück, Sätze holen aus, ritardieren, erzwingen Generalpausen mit anschließendem Sforzato. Das ist weniger ein Drive oder ein drängender Beat als der arhythmische Herzschlag einer eigenwilligen, komplexen Maschine, der noch lange in einem nachhallt.

P. S. Bis vor kurzem galt Heinrich Hauser auch der Literaturwissenschaft (nicht allerdings in gleichem Maße der Film- und Foto-Forschung) als ein nahezu Vergessener. Zum hundertsten Geburtstag im vergangenen Jahr wurde dieser Umstand beendet durch die wohlfundierte, umfassende und überaus materialreiche Dissertation von Grith Graebner. Da Hausers Leben ebenso unstet wie weitschweifend verlief, mußte die Forscherin zahlreiche Reisen unternehmen, um das entsprechend verstreute Material zusammen zu sammeln. Das Ergebnis ist nicht nur eine penible Darstellung der vielen Stationen von Hausers krauser Biografie mit dem Versuch eines Psychogramms des so komplexen Geistes, sondern auch und für die weitere Forschung grundlegend ein über 100 Seiten umfassendes Werkverzeichnis. Wer sich in Zukunft mit Hauser beschäftigen möchte, hat mit dieser Monographie erstmals eine verlässliche Grundlage.

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Grith Graebner: "Dem Leben unter die Haut kriechen". Heinrich Hauser. Leben und Werk. Eine kritisch-biographische Werk-Bibliographie.
Shaker Verlag, Aachen 2001.
502 Seiten, 44,50 EUR.
ISBN-10: 3826594061

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Titelbild

Heinrich Hauser: Donner überm Meer. Roman.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Walter Delabar.
Weidle Verlag, Bonn 2001.
208 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3931135586

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