Eine emanzipierte Heilige

Das ungewöhnliche Leben der Edith Stein

Von Stefanie Regine BrunsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Regine Bruns

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Edith Steins Heiligsprechung 1998 hat eine Frau wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt, deren Leben nicht widersprüchlicher hätte sein können. In ihm treffen sich Christentum und Judentum, Frömmigkeit und Intellektualität, fortschrittliches Denken und Tradition.

Edith Stein (1891-1942) wächst in einer jüdisch-preußischen Kaufmannsfamilie auf. Sie wird zu Pünktlichkeit, Ordnungsliebe, Fleiß und Pflichterfüllung erzogen - Eigenschaften, die sie ein Leben lang beibehält. Als eine der ersten Frauen ihrer Zeit legt sie das Abitur ab. In Breslau, Göttingen und Freiburg studiert sie mit großem Engagement Philosophie, Germanistik und Geschichte. Sie begeistert sich vor allem für die Phänomenologie, die zeigen will, "daß noch vor allen Empfindungen und empirischen Daten (als Bewußtsein von etwas) allein ein der Vernunft (als Bewußtsein von etwas) immanenter rein gedanklicher (Wesens-) Bestand die sichere Grundlage für wahre Erkenntnis ist." Sie promoviert mit großem Erfolg bei Edmund Husserl und strebt die Habilitation an. Da Frauen jedoch eine Karriere an der Universität noch versagt bleibt, arbeitet sie zunächst als Krankenschwester in einem Seuchenlazarett, später dann als Publizistin, Übersetzerin, Lehrerin und Dozentin.

Nach reiflicher Überlegung tritt Edith Stein in die katholische Kirche ein. Anstoß zu diesem Schritt gibt ihr letztlich die Auseinandersetzung mit dem Leben der Heiligen Teresa von Avila. Gleichzeitig setzt sich die gefragte Referentin in zahlreichen Vorträgen für die Frauenbewegung und das Frauenwahlrecht ein, mit der Forderung, auch die Kirche sollte ihr Frauenbild revidieren und künftig auch Frauen die Priesterweihe ermöglichen.

Edith Stein entscheidet sich schließlich für ein Leben als Ordensfrau bei den "Unbeschuhten Karmelitinnen" in Köln. 1938 flieht sie vor den Nazis in die Niederlande. Hier entstehen auch ihre beiden bedeutendsten Werke: "Endliches und ewiges Sein" und "Kreuzeswissenschaft". 1942 wird Edith Stein nach Auschwitz deportiert, wo sie am 9. August desselben Jahres getötet wird.

Die neueste Biographie Edith Steins zieht zahlreiche Quellen heran, die bislang als verschollen galten oder noch nicht beachtet worden sind. Andreas Uwe Müller, der über Edith Stein promovierte und zahlreiche Aufsätze über sie veröffentlicht, und Maria Amata Neyer, die Priorin des Kölner Karmel ist und seit zwanzig Jahren das Edith-Stein-Archiv in Köln leitet, erzählen sachlich und ausführlich vom erstaunlichen Weg der angesehenen Philosophin zur bescheidenen Ordensfrau. Die Biographie vermittelt aber gleichzeitig einen Einblick in die gesellschaftlich-politischen Umbrüche zu Beginn des Jahrhunderts. Edith Stein findet in dieser bedrohlichen Zeit Halt in ihrem Glauben, an dem sie als jüdische Christin bis zu ihrem gewaltsamen Tod in Auschwitz festhält. Sie ist gleichzeitig kritische Philosophin und überzeugte Gläubige, Intellektuelle und zupackende Krankenschwester, Jüdin und Christin - sie verbindet beispielhaft scheinbar unvereinbare Gegensätze.

Die Biographie beleuchtet daneben die neuen Entwicklungen in der Philosophie, insbesondere die der Phänomenologie. Dabei muß man allerdings anmerken, daß diese Passagen dem philosophisch nicht vorgebildeten Leser höchste Konzentration und Geduld abverlangen. Dennoch lohnt es, sich damit auseinanderzusetzen, um Edith Steins Beweggründe für ihren Weg von der Philosophie zur Religionsphilosophie zu verstehen.

Dieses Buch liefert einen gelungenen, umfassenden Überblick über das Leben einer faszinierenden Frau. Edith Steins Leben, Sterben und Nachwirken wird durch Zitate von Zeitzeugen, Auszüge aus ihren eigenen Schriften und zahlreiche Photographien illustriert.

Titelbild

Andreas Uwe Müller / Maria Amata Neyer: Edith Stein. Das Leben einer ungewöhnlichen Frau. Biographie.
Benziger Verlag, Düsseldorf 1998.
287 Seiten, 18,80 EUR.
ISBN-10: 3545201473

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