Postmoderne Kaderorganisation

Cheryl Benard und Edit Schlaffer über die afghanische Frauenorganisation RAWA

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Cheryl Benard und Edit Schlaffer, weithin bekanntes feministisches Autorinnenpaar, haben in den vergangenen Jahrzehnten etliche Bücher über die "Physik der Liebe", die "übermäßige Bereitschaft von Frauen", sich in Liebesbeziehungen "mit dem vorhandenen zu arrangieren" und die "gewöhnliche Gewalt in der Ehe" sowie über den "Mann auf der Straße" und über "Einsame Cowboys" vorgelegt - und vor nunmehr annähernd zwanzig Jahren sind ihre "Anleitungen zum Sturz des Internationalen Patriarchats" erschienen. Dabei lagen sie mit ihren Publikationen des öfteren im jeweiligen feministischen Trend. "Afghanische Frauen kämpfen um ihre Zukunft", so liest man seit einigen Monaten in allen Gazetten, so schallt es aus Radio und TV - und so lautet auch der Untertitel ihres neuen, in Zusammenarbeit mit Asifa Homayoun, verfassten Buches "Die Politik ist ein wildes Tier". Ein trendy Thema also auch diesmal.

Nicht ohne Grund stellte Siba Shakiba, Autorin des Bestsellers "Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen", in der Zeitschrift der deutschen Welthungerhilfe Anfang 2002 fest, dass die afghanischen Frauen "die einzigen" sind, "auf die wir momentan zählen können, wenn wir Frieden wollen". Denn gerade sie wissen nach Jahrzehnten des Kriegs und des Terrors "noch am ehesten [...], wie ziviles Leben funktionieren kann". Das Buch von Benard und Schlaffer handelt allerdings gar nicht von den um ihre Zukunft kämpfenden Frauen, wie der Untertitel suggeriert, sondern nur von einem Teil, von einer Organisation, von RAWA, der 1978 gegründeten "Revolutionary Association of the Women of Afghanistan". Eine Organisation, die von Siba Shakiba nicht einmal erwähnt wird, womit sie der Relevanz von RAWA allerdings nicht gerecht wird. Denn RAWA ist zweifellos nicht nur die größte Frauenorganisation Afghanistans, sondern vermutlich auch die wichtigste antiislamistische Kraft des Landes. Dennoch handelt es sich bei RAWA nicht um die Vertretung aller afghanischen Frauen, sondern um eine der Organisationen, die sich für die Rechte der afghanischen Frauen einsetzen.

Ihrer Selbstbeschreibung gemäß, so die Autorinnen, ist RAWA eine "feministisch[e] und antifundamentalistisch[e], prodemokratisch[e] und säkular[e]" Organisation. Ihr Vokabular klinge zwar marxistisch und erinnere an eine "straffe Kaderführung, an eine Bürokratie im sowjetischen Stil", doch hasse RAWA die Sowjetunion "und alles, was damit zusammenhängt". Kurz, die Organisation sei "zutiefst demokratisch" - wenn auch in anderem Sinn als "bei uns", wie es vage heißt. Nun kann man sicherlich gegen das politische Regime der Sowjetunion eine ganze Reihe wohlbegründeter Kritikpunkte aufzählen, aber immerhin besaßen die Afghaninnen unter der Herrschaft der Kommunisten - auch während der Intervention der Sowjetunion - soviel Rechte wie nie zuvor oder danach in der Geschichte des Landes. Da verwundert es doch etwas, dass RAWA rundweg alles ablehnt, was mit der Sowjetunion zusammenhängt. Eine dezidiert antisowjetische Haltung verbürgt zudem weder eine demokratische Haltung, noch widerspricht es einem Organisationsprinzip nach leninistischem Muster, wie etwa diverse maoistische Gruppierungen, Organisationen und Parteien zeigten. Wenn die Autorinnen betonen, dass bei RAWA "die Einzelnen [...] ihre Identität aus ihrer Mitgliedschaft in der übergreifenden Bewegung" beziehen, "ihren Lebenssinn aus deren Ideologie" gewinnen und auf "Anweisungen" warten, dann ist das ebenso ein Kennzeichnen einer totalitären Organisationsform, wie der extensive Personenkult, der um die 1987 ermordete RAWA-Gründerin Meena getrieben wird. So mutet es schon seltsam an, dass von ihr stets als der Gründerin gesprochen wird, als könne eine einzige Person eine Organisation gründen. Von Mitbegründerinnen erfährt man jedenfalls nichts. Meena, deren Bild "jede Publikation" der Organisation ziert, wird von Benard und Schlaffer als "eher mystische, mythische Figur" beschrieben, aus der die "Genossinnen" "eine Legende gemacht" haben - an der die Autorinnen kräftig mitstricken. Meena, so heißt es etwa, sei "eine begabte und brave Schülerin gewesen, ernst, neugierig, hellwach". Später habe sie sich zu einer "Mischung zwischen Sylvia Plath und Anne Frank" entwickelt, worunter die Autorinnen verstehen, sie sei eine "warme Person" gewesen, "freundlich, aber in sich gekehrt". Ihre "Führungsrolle" sei "bemerkenswert". Der um Meena betriebene Personenkult wird nicht etwa kritisiert, vielmehr wird im Gegenteil angemerkt, dass eine derart "uneingeschränkte Bewunderung für die Leistung, den Charakter und die Ideen einer anderen Frau" Europäerinnen schwer falle und ihre "zentrale Rolle als Gründerin und Führerin" hier sofort "Gegenstand der Interpretation und Kritik, Grund für Anfeindungen und Abspaltungen" wäre. Bei RAWA hingegen gäbe es keine derartigen "Ambivalenzen". Kritische Anmerkungen bezüglich des Personenkults um Meena sucht man also vergebens. Er wird vielmehr als Errungenschaft gefeiert, durch die RAWA sich "von allen anderen bisherigen Frauenbewegungen" unterscheide und die man sich von den Männern abgeschaut habe, die ihre "Ideen" mit den Namen von Personen "markieren". Die "fortschrittlichsten" seien: Marxismus, Leninismus, Maoismus.

Angesichts all dessen überrascht es doch sehr, dass die Autorinnen glauben, RAWA als "erste postmoderne Widerstandsbewegung" ausweisen zu können. Denn "einige der wesentlichsten und hervorstechensten Eigenschaften RAWAs", so meinen sie, seien zugleich Eigenschaften postmoderner politischer Bewegungen. Etwa, dass ihr Denken "sehr kollektiv" sei, dass die Gruppe "Vorrang vor dem Individuum" habe und sich um eine "charismatische, aber unnahbare, fast abstrakte Führungspersönlichkeit" sammele. Nun mag all das zwar auf RAWA zutreffen, was es allerdings mit der Postmoderne zu tun hat, bleibt das Geheimnis der Autorinnen. Oder sollten sie etwa die Kennzeichen totalitärer Organisationen mit denjenigen der Postmoderne verwechselt haben? Auch dass RAWAs Konfliktverhalten "asymmetrisch" ist, ist nicht originär postmodern, wie die Autorinnen meinen. Gleiches traf bereits auf die 1960 im damaligen Südvietnam gegründete FNL und andere nationale Befreiungsbewegungen des 'Trikonts' zu - und ebenso auf die Anarchisten und Nihilisten im russischen Zarenreich des 19. Jahrhunderts.

Von all dieser Kritik unbenommen bleibt, dass die überaus mutige Untergrundarbeit RAWAs während der Talibanherrschaft von herausragender Bedeutung war. Ebenso, die Relevanz ihrer Alphabetisierungskampagnen, die in Pakistan zur Zeit der Abfassung des Buches im November 2001 etwa 3.000 SchülerInnen (darunter auch Erwachsene) erreichten.

Weit eher als Benards und Schlaffers Hagiographie auf RAWA mag man sich ihren Ausführungen über den Talibanischen Wahnsinn anschließen, die bewusst keine politischen Analyse liefern, sondern eine "Diagnose" stellen. Denn die Autorinnen sind der Auffassung, dass die Taliban "keine Regierung, keine Partei und keine Bewegung waren, sondern ein pathologisches Konstrukt". Ihre Mitglieder, "Tyrannen mit einer schweren Sexualneurose", litten an "Wahnvorstellungen" und "Psychose[n]" einer "hysterische[n] Männlichkeit". Sie "hassten Frauen und fürchteten sie und verfolgten das explizite Ziel, sie zu erniedrigen und vollständig zu beherrschen". "Sie waren verrückt", heißt es lapidar, nichts anderes als gemeingefährliche Irre. So entsprachen ihre Bestimmungen dem "Verhalten eines Phobikers, zur Staatsräson gebracht".

Titelbild

Cheryl Benard / Edith Schlaffer: Die Politik ist ein wildes Tier. Afghanische Frauen kämpfen um ihre Zukunft.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2002.
260 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3426272792

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch