Das große Palaver

Stefan Wirner betätigt sich als entlarvender Wahlkampfhelfer

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die doppelte Staatsbürgerschaft wird die Sicherheitslage mehr gefährden als die Terroraktionen der RAF in den siebziger und achtziger Jahren", weiß Edmund Stoiber, während sich Gerhard Schröder als geschmeidiger Schöpfer euphemistischer Umschreibungen des Kriegseinsatzes am Hindukusch ausweist, den er in einer "konsequenten Herstellung von Sicherheit und Stabilität" trefflich beschrieben sieht. Im alltäglichen Nachrichtenflow, vor allem zu Wahlkampfzeiten, geht die tiefer liegende Bedeutung derartiger Aussagen gerne verloren. In ihrer Verdichtung, denkt sich Stefan Wirner, Redakteur bei "Jungle World", könne man den wahren Gehalt zu Tage fördern, eine Art unverstelltes Panorama verklausulierter Gesinnung erzeugen.

So hat sich der Montage-Künstler Wirner die wahrlich abschreckende Aufgabe gestellt, aus über dreissig Reden und Interviews von Schröder und Stoiber die entlarvendsten Sätze herauszuschreiben und zu montieren, so dass zwei neue große Reden, eine von und für Stoiber, eine von und für Schröder entstanden sind. Es geht ihm dabei weniger um die Enthüllung mangelnder Stichhaltigkeit von Sachargumenten (falls es die im Wahlkampfgetöse überhaupt noch gibt) sondern darum, die "Ideologie, die hinter dem Jargon waltet", offenzulegen.

Es gehört schon eine gewisse Portion staatsbürgerlicher Disziplin dazu, die Zitatmontagen mit der gebotenen Aufmerksamkeit zu lesen, denn dem Politjargon ist die Überzeugungskraft von Vertretergesprächen eigen und, gelesen im Bewusstsein eines didaktischen Neuarrangements, verlieren sie ohnehin ihre Glaubwürdigkeit. Man will kritisch lesen, sich bestürzt zeigen angesichts der Dreistigkeit, mit der "Schröderstoiber" geschichtliche Greuel relativieren, Militäreinsätze enttabuisieren und sowieso nur tautologische Platitüden von sich geben. Wirners mit Mitteln des Cut-ups erzielte Ideologiekritik mangelt es jedoch an Überzeugungskraft. Zu sehr hat man sich bereits an das große Palaver und das, was dahinter steht, gewöhnt, als dass es in einem Gefühle der Fassungslosigkeit wecken würde, wie es Wirner nach eigenem Bekunden widerfährt, wenn er Statements der beiden Politiker liest. Ihm missfällt es, dass Schröders und Stoibers "Sätze Vorschriften und Befehlen gleichen" und hat als Replik auf Stoibers imperative Formulierung "wir müssen nicht sagen was ankommt, sondern worauf es ankommt" natürlich gleich Adornos autoritären Charakter zur Hand. Man kann sich mit einigem Recht über derartige nichtssagende Floskeln ärgern, aber muss man dahinter gleich einen ideologischen Springteufel vermuten?

Titelbild

Stefan Wirner: Schröderstoiber.
Verbrecher Verlag, Berlin 2002.
65 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-10: 3935843070

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