Leiden als Leitmotiv

Bettina Galvagnis Roman "Persona"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Viele Neuerscheinungen dieses Herbstes sind geprägt durch gescheiterte Figuren. Ob bei Arnold Stadler, Hans-Ulrich Treichel, Angela Krauß, Wolfgang Schömel, Thomas Lang oder Doris Dörrie - aus unterschiedlichsten Gründen werden die Protagonisten aus der Bahn geworfen und seelischen Torturen unterworfen.

Die 26-jährige Südtiroler Autorin Bettina Galvagni stellt in puncto Leidenspotenzial alles in den Schatten. In ihrem zweiten Roman "Persona" präsentiert sie eine Protagonistin, deren Lebensweg als Anschauungsmaterial für jedes psychologische Seminar dienen könnte. Alles, was im Leben daneben gehen kann, bekommt die junge Lori mit auf den Weg gegeben. Sie ist Mitte 20, studiert Französisch und besucht in ihrer Freizeit ihre Psychiaterin beinahe ebenso häufig wie eine Kunstschule.

Aus den Therapiegesprächen erfahren wir, dass sich Loris Mutter umgebracht hat, dass sie unter der fehlenden Bildung ihres Vaters litt , dass sich ihre beste Freundin Anne ("schön wie eine Jasminblüte") nach einem Inzest das Leben nahm und dass Annes Bruder Alexander (neben einem Lehrer namens Ulysses) einer von Loris Liebhabern ist.

Trotz der reichlich arrangierten "Störfaktoren" gelingt es Bettina Galvagni nicht, einen wahrhaftigen Einblick in das Seelenleben ihrer Protagonistin zu gewähren, die nur nach dem ihr streng verordneten Leitmotiv des neurotischen Leidens funktioniert. Mal will sie Ärztin, mal Schriftstellerin und dann doch Tänzerin werden, wie die von ihr bewunderte und aus dem Leben geschiedene Freundin Anne.

In Loris Außenwelt gibt es keinen Fixpunkt, alle Personen werden nur in Beziehung zu ihrem eigenen Leid gesetzt. Das wirkt auf die Dauer ermüdend und strapaziert die Geduld des Lesers ebenso wie die steifen, an den Haaren herbeigezogenen Dialoge. Wenn sich ein frisch verliebtes junges Paar über Einsamkeit, Angst und Bücher unterhält, die "noch mehr von der Wirklichkeit entfernen", wirkt dies nur noch konstruiert, lediglich der Intention und nicht der Plausibilität verpflichtet.

Auch Bettina Galvagnis Versuch, mit fortschreitender Handlung die nicht minder schrullige Psychiaterin Eliza und die extrovertierte Professorin "Madame Elvira" als zwei potenzielle Alter-Egos der Protagonistin vorzuführen, kann den Roman nicht retten, denn Gefühle werden bei diesem vermeintlichen Seelenbild nur als transparente Folie suggeriert, sie bauen sich durch die Handlung jedoch nicht stringent auf. Spätpubertäre Schwermut multipliziert sich unter der elegischen Feder der Autorin zu einem kolossalen Weltschmerz. "Persona" steht in der Psychologie für die Außendarstellung und für die gesellschaftliche Rolle, die eine Person einnimmt. Darauf hat sich auch Bettina Galvagni beschränkt - auf Lori als Leidende ohne wirkliches Innenleben.

Einmal gebührt der Autorin, die nach ihrem Debüt vorschnell als "Wunderkind der österreichischen Literatur" bezeichnet wurde, jedoch volle Zustimmung - als sie Psychiaterin Eliza über ihre Patientin Lori befinden lässt: "Sie sind ein kleines Mädchen, das nicht weiß, womit es spielen soll." Tatsächlich wehrt sich die Protagonistin (und auch die Autorin?) vehement gegen das Erwachsenwerden. Am Ende des Romans "schlief Lori ein, und im ersten Augenblick des Schlafes tanzten die Schneeflocken wie schwarze Fliegen vor ihr." Man wünscht ihr sehnlichst einen albtraumfreien Schlaf. Gelitten hat sie schon genug - und auch der Leser.

Titelbild

Bettina Galvagni: Persona.
Luchterhand Literaturverlag, München 2002.
190 Seiten, 18,50 EUR.
ISBN-10: 3630871291

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