Unschuldig schuldig

Karen Bauer über die Frauenfiguren in Fontanes erzählerischem Werk

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als ein weites Feld hätte sie wohl der alte Herr Briest bezeichnet, die Protagonistinnen in den Romanen seines Schöpfers. Wohl nicht ganz zu Unrecht. Denn Fontanes Romane sind "zu einem großen Teil Frauenromane", wie Karen Bauer in ihrer Untersuchung von Fontanes Frauenfiguren zeigt, in der sie sich daran macht, eben dieses Feld zu beackern. Eine Arbeit, die Früchte trägt. Als Frauenromane bezeichnet Bauer Fontanes Werke nicht zuletzt wegen seiner im Vergleich mit anderen europäischen AutorInnen seiner Zeit "bemerkenswerte[n] Konzentration" auf das weibliche Geschlecht und seiner "Faszination für das Thema Frau an sich". Letzteres ist allerdings nicht ganz zutreffend, denn Fontanes Frauen sind nie "Frauen an sich", sondern immer Frauen im Wirbel der Geschlechterbeziehungen, im "Gender Trouble", um mit Judith Butler zu reden. Ihnen, den Geschlechterbeziehungen seiner Zeit, dürfte Fontanes Interesse also gegolten haben, und nicht einer abstrakten 'Frau an sich'.

Fontanes Protagonistinnen werden von Bauer "aus einem komparatistischen Blickwinkel" untersucht, um seine "spezifische Sicht" auf "die Frau seiner Zeit" hervortreten zu lassen. Hierzu zieht die Berliner Germanistin nicht nur Stücke und Romane anderer europäischer Autoren aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts heran, wie etwa Ibsens "Ein Puppenheim", Flauberts "Madame Bovary" und Tolstois "Anna Karenina", sondern auch philosophische Werke von Karl Rosenkranz und Arthur Schopenhauer, dessen Willensmetaphysik sie jedoch allzu sehr simplifiziert. Einen weiteren Bezugspunkt ihrer Untersuchung bilden die Präraffaeliten, deren Darstellung "ätherischer, stark idealisierter Frauengestalten" Fontane bewunderte.

Ebenso wie andere Autoren seiner Zeit typisiert Fontane seine Frauenfiguren. So schuf er mit Grete Minde im gleichnamigen Roman eine "moderne Medea", die sich "gegen die bestehende Ordnung" auflehnt und hierbei "kläglich scheitert", oder eine Frau des Typus Ehebrecherin in "L'Adultera". Andere seiner weiblichen Figuren entsprechen den Stereotypen der Femme enfant, der Beauté de diable, der "gefallenen Frau", oder der "schönen und kranken Seele", der "einfachen Frauen" sowie Frauen, "die nach Bildung, Erfolg und Emanzipation streben". So unterschiedlich sie auch typisiert sind, so teilen alle Frauenfiguren Fontanes doch eine große Gemeinsamkeit: Sie sind "Opfer und Täterin zugleich" und werden, wie Bauer feststellt, fast immer "unschuldig schuldig". Das gilt für Grete Minde ebenso wie für Hilde in "Ellerklipp", für Effi Briest, für Cécile, und auch für Franziska Franz in "Graf Petöfy".

Vor allem aber zeichnen sich die Werke Fontanes, der sich "tief und kenntnisreich in die weibliche Psyche und Erfahrungswelt hineingedacht" hat, - auch gegenüber seinen schreibenden Zeitgenossen - dadurch aus, dass sich ihre Protagonistinnen durch ihren "vielschichtigen und komplexen Charakter" den seinerzeit virulenten Weiblichkeitsklischees letztlich doch entziehen.

Titelbild

Karen Bauer: Fontanes Frauenfiguren. Zur literaischen Gestaltung weiblicher Charaktere im 19. Jahrhundert.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
288 Seiten, 45,50 EUR.
ISBN-10: 3631388977

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