Zwischen Trollbroten und beliebten Seeschwalben

Sarah Kirschs Reise - Journaler "Islandhoch": Ein Lobpreis auf die "Weiße Insel"

Von Antje PolanzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Antje Polanz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Noch bevor man mit dem Inhalt von Sarah Kirschs neuem Buch "Islandhoch" richtig bekannt wurde, stolperte man im Frühjahr diesen Jahres über seinen Titel, der es schon bei Drucklegung des Buchs zum Namensgeber eines isländischen Kulturfestivals, des ersten seiner Art in Deutschland, dazu von hochkarätiger Besetzung, gebracht hatte. Nicht nur werbewirksam, soviel sei bereits vorweggenommen, verdient das Buch zu Recht jede Art von Aufmerksamkeit, vor allem innovativ war die Idee des Steidl Verlages anlässlich des hundertsten Geburtstags von Halldor Laxness "Island in Berlin" zu feiern. Schließlich erfreut sich die Insel nachweislich einer wachsenden deutschen Fan-Gemeinde, die "hoch oben" magisch anziehende letzte Reste des hierzulande längst abhanden gekommenen Ursprünglichen wittert. Und weil auch Sarah Kirsch in ihren "Tagebruchstücken" auf den Spuren von Laxness "Wiedergefundenem Paradies" wandelt und sich zehn Jahre nach ihrer Reise nun reif fühlt davon zu berichten, zumal sie den Dichter damals noch unter den Lebenden fand, schien alles in allem die Zeit für einen deutsch-isländischen Austausch der außergewöhnlichen Art gekommen zu sein, der mit einer breiten Palette einfallsreicher Highlights alles andere als Klischees zu bedienen gedachte. So wie die Dichter-Biologin nicht nur "ein paar Wikinger" sondern auch "Schönheiten aus dem Schauspielgeschäft" auf der Insel trifft, lasen nicht nur Otto Sander und sprach der Bundeskanzler, man konnte sich auch zu einer Bustour zum Museum der Unerhörten Dinge "einschiffen" um Walfischpenisse zu sehen oder die Haare des Norwegerkönigs Harald Schönhaar zu bestaunen.

Das, was auf der Insel "wiedergefunden" werden kann- Sarah Kirsch reist 1992 nicht zum ersten Mal nach Island- ist ihr das "Ermutigende" auf dieser Fahrt, wie die Dichterin regelrecht süchtig danach ist, das Unerwartete "mit den Augen einzufahren" und Kontrastbilder (auch Farben spielen dabei eine wichtige Rolle) zu ernten. So ist ihr Prosa-Tagebuch einerseits in die Farben des Eises und des Eisblauen eingebunden, dann aber findet man "die Kinder mit Puppengeschirr und Playmobil-Cowboys direkt auf den Gräbern", und Scharen weißer Schmetterlinge fliegen auf die offene See hinaus, weil die blauen Schiffscontainer auf dem Frachter, mit dem die Dichterin sich an Island heranpirscht, sie unwiderstehlich anziehen. Sarah Kirsch wählt den weitaus beschwerlicheren Wasserweg, um die Insel zu erreichen, mit dem Flugzeug wäre es wohl mehr ein sich Überstülpen des Eilands geworden, sie aber will sich das Land anziehen. An Else Lasker Schüler in Palästina erinnert, wie sie es sich mit naivem Kinderblick erarbeitet und darin herumhüpft: "Bin durch die Lieblingshauptstadt gesprungen, für meine Mutter ne isländische Sternstrickjacke gekauft. Für Max die neueste Bubbi- und Runar-Kassette". Die "Seele macht Handstand", wenn man mit dem Walkman "auf den Löffeln die beliebten Seeschwalben fliegen" sehen kann, oder wenn Papageientaucher "prompt[ ...] uns die schönen grüngläsernen Tunnels gezeigt, die sie um sich wachsen lassen können, wenn sie die Luft mit dem Wasser vertauschen". "Islandhoch" ist mit seinen freudigen Tupfer- und Blumen-Aquarellen unter, über und zwischen den Worten zu einem vergleichbar faszinierenden Gesamtkunstwerk geworden wie der ebenfalls in diesem Jahr erschienene Lasker-Schüler Text und Bilder-Zyklus "Theben".

Doch nicht alles kommt in Kirschs "Tagebruchstücken" gediegen daher. Der Leser bleibt bei den Ausritten der Dichterin sprachwörtlich mit auf Trab gehalten, wenn die Reisende ihrer Wut darüber Luft macht, dass in einem kleinen Kirchlein aus dem Kofferradio eines Anstreichers "ne laute Scheißmusik quoll" , wenn sie beim Anblick vorbei fliegender Raben "Boa sind die schwarz" ausruft oder sich in ihren" Schlafsack knallt". Umgangssprachliches wie die "Megawand Sonnenbrillen" oder "fuffzig vor Christo" findet sich bizarr kühn vermischt mit altmodischer Ausdrucksweise, "wenn das Wollgras glänzet". Dazwischen mit "Gebürgsschuhen" und "Koffie" immer wieder die Lust an Wortverfremdungen, und nicht zuletzt ist mit der Dichterin auch die Biologin mit ihrem unermüdlichen Bestimmungseifer unterwegs, der selbst der "Sternsteinbrech" nicht "durch die Lappen geht".

Sarah Kirschs prosaisches Island-Tagebuch liest sich über weite Strecken als eine noch zu entdeckende "Performance über angehaltenes Leben", das den "ehemaligen Menschen" wie den gegenwärtigen hart auf den Fersen bleibt. Alle Eindrücke und Erfahrungen sind damals so "200 Perzent" intensiv, dass die Freude über einen "Muschelring von Aegir", der der Dichterin vor die Füße gerät, riesengroß ist: "er passte und ich bedankte mich sehr. Kann ich für die Rücktour gebrauchen". In ihm bleibt alles konserviert und kann in Ruhe verarbeitet werden.

Titelbild

Sarah Kirsch: Islandhoch. Tagebruchstücke.
Steidl Verlag, Göttingen 2002.
104 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3882438339

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