Das letzte Abenteuer

Einkaufen im Internet-Auktionshaus ebay

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwölf Uhr mittags. Die Sonne steht hoch am Himmel. Der Mann hat den Staubmantel lässig zurückgeschlagen, seine Hand schwebt bedrohlich über der Feuerspritze. Ein Paar tiefblauer Augen fixiert das Gegenüber. Endlos. Plötzlich peitscht ein Schuss, die Gestalt am anderen Ende der Straße scheint wie vom Schlag getroffen. Sie blickt ungläubig an sich herunter, erhebt noch einmal den Blick und bricht wortlos zusammen. Guns don't argue.

Zwölf Uhr, Mittagspause. Ein Showdown der anderen Art, das allerletzte Bietduell. Ein rundliches Händchen, das eben noch den Inhalt einer Tüte Kartoffelchips befingerte, hält die Computermaus im Anschlag. Gespanntes Warten. Ist der richtige Moment gekommen, befördert der stubenhockende Internet-Cowboy seinen Konkurrenten mit einem einzigen Klick ins Abseits. Nimm das, Gringo!

Willkommen im virtuellen Auktionshaus ebay. Hier feiert die Angestelltenkultur ihren Highnoon, hier holt sie sich den ultimativen Kick in ihrem ansonsten ereignisarmen Leben. Hier kommen Dinge unter den Hammer, die man eigentlich gar nicht braucht, zu Preisen, die man sich eigentlich nicht leisten kann. Und da heutzutage jeder Galgenstrick online ist, funktioniert das Ganze auch noch hervorragend.

Wie es bei ebay zugeht, weiß so ziemlich jeder, der einmal um des bloßen Nervenkitzels willen irgendwelchen Tinnef ersteigert hat, um ihn dann gleich anschließend an den nächsten Gutgläubigen weiter zu verhökern. Die künstlich angeheizten Besitzwünsche und der Konkurrenzdruck zwischen den Bietern bewirken, dass selbst ausgemachte Scheußlichkeiten oder gänzlich funktionsuntüchtige Gegenstände dankbare Abnehmer finden.

Kaum etwas, das es bei ebay nicht gibt. Da wird zum Beispiel ein komplettes Solarium feilgeboten ("gewölbte Form für optimale Seitenbräunung"), mit dessen Hilfe unser bleichgesichtiger User binnen kurzem zu einer veritablen Rothaut mutieren könnte. Oder ein Traum unserer Jugendtage: ein orangefarbenes Bonanza-Rad mit Rückspiegel, Lowrider-Lenker und Bananensattel. Oder, für manche etwas frivol, für andere der letzte Schrei, eine neunschwänzige Lederpeitsche in "besonders robuster Ausführung". Oder, oder, oder.

Natürlich ist es blanker Unfug, ebay als "Demokratisierung des Handels", als "Mini-Verschwörung gegen unsere [...] auf Einwegkonsum ausgerichtetes Wirtschaftssystem" (Hagen Rudolph) zu beschreiben. Ebay hat nichts Subversives, ein nicht unerheblicher Teil der Anbieter dealt kommerziell. Und zwar mit Neuware, zu deren Erwerb man sich ohne weiteres ins nächstbeste Geschäft bemühen könnte und deren Qualität dem Kriterium der Langlebigkeit oftmals nicht genügt.

Needful things. Die virtuelle und naturgemäß nur ausschnitthafte Präsentationsform von ebay lässt genügend Raum für die Phantasie der Nutzer. Auf diese Weise setzt das Auktionshaus eine Spirale von Wünschen, Hoffen und Begehren in Gang. Die ebay-Gemeinde verlangt es nach Dingen, die ohne ebay kein Mensch würde haben wollen. Gar mancher stellt ein unliebsames Geschenk - ein Ausbund an Geschmacklosigkeit, versteht sich - bei ebay ein und erspart sich so den Weg zur nächsten Mülltonne.

Ebay ist obendrein eine fortgeschrittene Lektion in Sachen Verfügbarkeit. Seltenheiten und Seltsamkeiten, die man auf keinen Flohmarkt mehr ergattern könnte (oder wenn doch, dann nur mit einem erheblichen größeren Aufwand an Zeit und Mühe) - bei ebay gibt es sie. Zeit und Raum sind keine Hürden mehr, die man überwinden müsste, um sich das Gesuchte zu beschaffen. Das gesamte Universum der Dinge liegt uns zu Füßen, wir brauchen uns nur noch danach zu bücken. So lautet die ebay-Lehre.

Darum will es selbst dem verständigsten Revolverhelden nicht in den Kopf, weshalb Hagen Rudolph, der Autor des Bändchens "Abenteuer ebay", ausgerechnet einem Unternehmen, das unserem Konsumwahn so nachhaltig Vorschub leistet, konsumkritische Züge bescheinigt. Dann scheint zur Charakterisierung von ebay schon eher jener Slogan angemessen, der anlässlich der Frankfurter Kunstausstellung "Shopping" an der Fassade eines großen Kaufhauses angeschlagen war: "Du willst es, du kaufst es, du vergißt es."

Rudolph hingegen ist ein eingefleischter ebay-Fan, der mit seiner naiven Begeisterung für die Auktionsplattform nicht hinter dem Berg hält. Wie einfach es doch ist, sein Habitat mit dem unsinnigsten Tand zuzumüllen! Dazu gesellt sich ein nicht weniger abstruses Gemeinschaftsgefühl: das Wissen, zu einer weltumspannenden Community zu gehören, in der es keine Hierarchien gibt. Deren Mitglieder allesamt offen, freundlich und zu schrankenloser Kommunikation bereit sind.

Keine Rede davon, dass ebay, von der hauseigenen "Marktplatzpolizei" mehr schlecht als recht bewacht, jüngst in die Schlagzeilen geriet, weil die Firma rechtsradikale Inhalte auf ihren Seiten nicht sorgfältig genug prüfte. Keine Rede davon, dass hier selbst ein Stimmzettel zur letzten Bundestagswahl angeboten wurde. Auch dem unerlaubtem Organhandel wurde auf ebay schon gefrönt: Wie wäre es mit einer Niere zum Mindestpreis von 100.000 Mark? Zum Ersten, zum Zweiten und zum ... Iiih, bäh!

Derzeit boomt der Handel mit Originalverpackungen, wobei die "Verpackungen" so dezent in den Hintergrund der Produktbeschreibung treten, dass der Käufer wähnt, er biete auf original verpackte Produkte. Die Enttäuschung ist freilich groß, wenn der Postbote dann nur die leeren Kartonagen anstatt des begehrten Inhalts überbringt. Wer guckt schon gerne in die Röhre?

Immerhin klärt Rudolph darüber auf, dass auf ebay längst eine Menge Betrüger, Halunken und Halsabschneider ihr Unwesen treiben. Goldgräberstimmung adé! Es steht nämlich in den Sternen, ob man für seine per Vorkasse entrichteten Nuggets auch wirklich die versprochene Ware erhält. Manch einer wartet auf den glücklich ersteigerten, spottbilligen Laptop bis zum Sankt Nimmerleinstag.

Da unten im Tal, da liegen keine Leichen. Dort warten die geschröpften oder sonstwie hinters Licht geführten Käufer, dass man ihnen den an Leib und Seele erlittenen Schaden reguliert. Und wenn schon, hol' sie der Pleitegeier. Denn so handelt es sich auf ebay - abenteuerlich.

Aber, so könnte man immerhin einwenden, ebay verfügt doch über ein ausgeklügeltes Bewertungssystem, anhand dessen jedermann die Vertrauenswürdigkeit seines Handelspartners überprüfen kann. In der Praxis sieht das allerdings anders aus: Selbst der unzufriedene Käufer lässt sich zu einer positiven Bewertung hinreißen, wenn er im Gegenzug eine ebensolche einheimsen kann. Leben und leben lassen, heißt die Devise.

Und der avanciertere Gauner bewertet sich mittels eines oder mehrerer Decknamen ohnehin selbst. Das nämliche gilt übrigens auch für die Auktionen, denn nichts hindert den Verkäufer daran, den eingesetzten Mindestpreis in eigener Regie oder über Strohmänner in schwindelerregende Höhen zu treiben.

Über Rudolphs Machwerk schwebt - zumindest - der Vorwurf der Unredlichkeit. Anekdoten, Belanglosigkeiten, viele nutzlose und wenige brauchbare Hinweise füllen Seite um Seite. Ein Buch, geschrieben für eine Handvoll Dollar, erschienen im Verlag mit der Eintagsfliege.

Titelbild

Hagen Rudolph: Abenteuer ebay. Internet-Schnäppchen für Jäger und Sammler vom Kult-Auktionator.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
119 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-10: 3821839694

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