Die neue Mitte?

Bernd Wagners Roman "Club Oblomow"

Von Christian HeuerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Heuer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ganz Deutschland sucht nach dem Neuen Berlin. Forciert durch den Umzug von Parlament und Bundesregierung, wird versucht, die Hauptstadt politisch und kulturell neu zu definieren. Inwieweit die Stadt dabei als Projektionsfläche für Hoffnungen auf ästhetische Innovationen in einem vielbeklagten angeblichen Stillstand der deutschen Literatur dient, wird deutlich, wenn der Erzähler in Bernd Wagners Roman die rhetorische Frage "Ob das Aufblühen der Erzählkunst damit zusammenhängt, daß Berlin wieder zu einer Stadt wird" stellt, um hinzuzufügen: "Zumindest müssen die Deutschen mal wieder versuchen, eine Nation zu werden". So mischen sich die Träume des Autors mit dem politischen Impetus einer vereinten Kulturnation.

Dabei befindet sich der Erzähler selbst im monierten künstlerischen Stillstand. Nachdem er eine Beziehung beendet hatte, um seinen von der Öffentlichkeit nicht beachteten Roman zu vollenden, verordnet er sich mit dem Eintritt in die deutsch-russische Kulturstiftung "Oblomow" das Ende allen Schaffens. Denn: "Bedingung für die Aufnahme in den Club sei, jegliche Arbeit, insbesondere die künstlerische, unverzüglich einzustellen." Der Müßiggang der Künstler wird finanziert von einer russischen Adligen und das moderne Mäzenatentum ad absurdum geführt. Die so geförderten "Stipendiaten" verbringen ihre Zeit mit Billard, Alkohol und sexuellen Abenteuern. Aus Langeweile chattet der Erzähler per Computer mit einer Unbekannten und offenbart schrittweise Geschichten von seinen Künstlerfreunden, seinen Weg zum Schriftstellerberuf, poetologische Reflexionen und schließlich einen Mordplan, der entwickelt wurde, um die materielle Versorgung des Clubs sicherzustellen. Durch sein Erzählen mißachtet er das Produktionsverbot und leitet seine persönliche Katastrophe ein.

Bernd Wagner versucht in seinem Künstlerroman einige zentrale Fragen der Literatur zu verarbeiten, wie sie am Ende des Jahrhunderts akut zu sein scheinen. Die generelle Schwierigkeit des Schreibens und sogar die Schreibverweigerung des Protagonisten kann im Roman nur durch das Speichermedium Computer überwunden werden, das seinen unverbindlichen Chat aufzeichnet. Diese Ausgangssituation des Clubs der sich verweigernden Künstler ist durchaus interessant. Was Wagner aber anbietet, nachdem er gleichsam die Blockade literarischer Artikulation überwunden hat, ist wenig überzeugend. Die Schilderung der Bohème in der neuen Mitte Berlins bleibt Klischee, ebenso die Vorgeschichte des Erzählers, dessen Passion für das Wort mit der notorischen Lektüre von Indianerromanen unter der Bettdecke begann. In Abgrenzung zum Film schreibt er: "In einem Buch aber kann man wochenlang lesen. Und die Bilder werden nicht geliefert, sondern man muß sie selbst und ganz allein träumen. So wie der Autor allein beim Schreiben ist, ist es der Leser beim Lesen. Die Literatur ist deshalb unersetzbar, weil in keinem Medium sonst ein Individuum so unmittelbar zu einem anderen spricht. Und wo sie diese Ebene intimer Zwiesprache verläßt, verrät sie sich selbst." Insgesamt ein Drittel des Romans wird darauf verwendet, anhand exemplarischer Autoren wie Celine, Hamsun, Witold Gombrowicz, Edgar Hilsenrath oder auch Arnold Stadler ein Lob der "satten erzählenden Prosa" und der Unmittelbarkeit von Erfahrung und erzählerischer Wahrheit anzustimmen. Sicherlich ist es bemerkenswert, daß ein Autor so bekennerhaft einen persönlichen Kanon von wegweisender Literatur in einem Roman auflistet, während es doch mittlerweile unerläßlich ist, jede eigene Überzeugung ironisch aufzuheben, um für diese nicht haftbar zu sein. Allerdings wird der ohnehin eher schwachen Handlung des Romans damit kein Dienst erwiesen, denn die Reflexion über satte Prosa und literarische Praxis widersprechen einander. Der Roman bleibt eigentümlich farblos. Darüberhinaus ist aber auch die reine Theorie etwas unbedarft: "Der Dichter hat so lange zu destillieren, brauen und mixen, bis die Wahrheit mehr ist als sich in der Sprache wiederholendes Leben, bis sie mehr ist als einfach nur wahr, eine neue Essenz oder Schöpfung oder so." Daß dagegen die Moderne und die Postmoderne - stellvertretend für sie Foucault - als eine Literatur ohne Wahrheit eher schlecht wegkommt, versteht sich da von selbst, greift aber wohl in der Kritik etwas zu kurz. Wie bemerkt der Erzähler selber: "Nichts ist gefährlicher, als sich die Blöße eigener und von jeder Seite angreifbarer Gedanken zu geben." Die Schlußwendung der Handlung vermag es dann allerdings, den angelegten Widerspruch von künstlerischer Verweigerung und lebensnaher Erzählfreude pointiert zu verschärfen: denn am Schluß stehen Verlust und Tod.

Titelbild

Bernd Wagner: Club Oblomow.
Ullstein Verlag, Berlin 1999.
208 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3550082983

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