Aber gut

Ralph Hammerthaler trifft kaum einen falschen Ton

Von Katja SchneiderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katja Schneider

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist das alte Lied: Mittdreißiger, beruflich erfolgreicher Intellektueller, finanziell unabhängig, sexuell saturiert dank "serieller Monogamie" und in Daueraffäre mit Nicole aus Jena lebend, hat Mangelerscheinungen und Defizitgefühle: "Es lief bestens. Es lief in der Liebe und im Verlagsgeschäft so gut, dass ich den Systemkitzel, ob Liebe, ob Geschäft, nicht mehr allzu stark spürte. So fing ich an zu ermüden, nicht aus Erfolglosigkeit, sondern aus Erfolg. [...] Und so wurde ich in gewisser Weise das Opfer meiner eigenen Routine, ganz richtig: das Opfer."

Ja, ja, die männliche Psyche am Ende hinausgezögerter Spätpubertät. Doch wer in diesem Fall das Ratgebersegment bemüht sehen möchte, dem inszeniert Ralph Hammerthaler in seinem Debütroman "alles bestens" eine systemtheoretische Steilvorlage. Denn das Ich seines Buches ist nicht nur Opfer seines Erfolgs und seiner Müdigkeit, sondern vor allem seines Bewusstseins, das ihm von Zeit zu Zeit völlig überraschend abhanden kommt. Während sein Körper weiter funktioniert, sich selbständig steuert, ist sein Geist nicht mehr in der Lage, dem Spiel der Codes zu folgen oder sich gar daran zu beteiligen. Emotional und mental komatös, ist das Ich in seinen Aussetzern unfähig zu differenzieren; und wo kein Differenzieren, da sind auch keine Begriffe, und wo keine Begriffe sind, da ist auch kein Bedeutungsaufbau mehr möglich. Das Ich wird von seiner Umgebung zersetzt: "Ein geschwächtes Selbst wird von Systemen bedrängt und schließlich durchbohrt, es wird von allen Richtungen her penetriert, das Chaos versetzt ihm den Gnadenstoß."

Um dem zunehmenden Identitätsverlust zu begegnen, zieht der Ich-Erzähler ins Hotel, sucht Schutz, indem er sich in dieses partikulare, extrem stabile System einspeist. Auch sein bester Freund Lorenzo besucht ihn hier. Ihre Treffen auf den Holzbänken eines kurdischen Lokals werden seltener. Bald fällt es dem Protagonisten schwer, spontan zu telefonieren, unvorbereitet das Haus zu verlassen. Er igelt sich mehr und mehr ein. Alles läuft bestens - nur eben ohne ihn.

Ralph Hammerthaler erzählt die Geschichte seiner Hauptfigur mit einer gewissen Kaltschneuzigkeit; er stellt sie in den Kontext einer intellektuellen Elite, die in ihren Ansprüchen an das "Leben" scheitert, weil sie verführbar ist - zum depressiven Opfersein wie Professor Schulz in Jena, der überzeugt ist, er habe als Besser-Wessi dem verdienten ostdeutschen Professor Wurtzig den Lehrstuhl weggenommen; verführbar zur Hybris des Alles-macht-Neu, die der Berliner Architekt Wettrich in seinen Plänen für die Neugestaltung des Alexanderplatzes teuer bezahlen muss; und verführbar zur Liebe wie Anna, die dem - keine gefühlsduseligen Unkosten scheuenden - Ich-Erzähler verfällt. Anna ist das Damenopfer, damit das Ich sich wieder spüren kann.

Dieses Programm, auf den Trümmern einer Existenz die eigenen Ruinen wieder aufzubauen, markiert den Beginn des Buches, etwa ab der Hälfte lässt es der Protagonist anlaufen. Kurz nachdem ihm die lästigen "hässlichen" Kinder seiner allein erziehenden Freundin Nicole eine Wissenslücke über ihre Beziehung schlossen. Er fährt zurück nach Jena und ist "so weit es zuzugeben: ich ängstigte mich davor, dass mir die Dinge entgleiten, dass sie mir aus den Händen rutschen". Trotz seiner Erschöpfung sieht er seine Rettung in der nüchtern geplanten Tat. Er spielt in seinem Hotelzimmer russisches Roulette und im übertragenen Sinne über Bande, um sich in der emotionalen Selbstverletzung seiner Emotionalität zu vergewissern. In der Verführung der Frau seines einzigen Freundes will er diesen so verletzen, dass er ihn verliert, um sich dann in diesem Verlust selbst zu finden.

Stimmig und mit exaktem theatralem Timing entfaltet der Autor (ebenfalls ein Mittdreißiger und 2000 mit dem Alfred-Döblin-Stipendium ausgezeichnet) sein Szenario. Er spielt mit literarischen Vorlagen (Kierkegaards "Tagebuch eines Verführers" wird neben Niklas Luhmann und Roland Barthes ausdrücklich "gedankt"), er vitalisiert Modelle der frühen Moderne und etabliert Raumsemantisierungen entlang der vertikalen Achse, wie sie der Realismus so liebte. Dabei bleibt der Journalist Hammerthaler, der Bücher über szenisches Handeln in der Politik und über das Theater als Medium der Zukunft verfasst hat, nicht auf einer akademisch-papierenen Meta-Ebene, sondern inszeniert rasant und in knapper, präziser Sprache die Auf- und Abtritte seines übersichtlichen Personals, das wie im klassischen Drama mehr als zufällig verbunden ist. Ironisch streift er den präpotenten Wissenschaftsbetrieb in den neuen Bundesländern, die Hybris der Medienmacher, das Gewese um die Hauptstadttheater und deren Reduzierung auf ihren ökonomischen Charakter.

Dem Protagonisten ist alles System. Er gestattet sich keine Unlogik wie Lorenzo, der in einem Diskurs über die Liebe herleitet, dass es für die Liebe keinen Grund gebe, und trotzdem auf die Hoffnung ihrer Dauer baut. Der pathologische, wenig sympathische Protagonist wirkt in seiner Konsumfixierung und ewigen Utilitarismusmaxime wie ein Kind der New Economy und zugleich wie ein Vorbote ihres Niedergangs: im eigenen Verdämmern, andere mit niederreißend und trotzdem von der eigenen Lebendigkeit und Möglichkeit des Wiedereinsteigens überzeugt. Das Gegenteil eines anonymen Entzugs. Und kaum ein falscher Ton.

Titelbild

Ralph Hammerthaler: Alles bestens. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2002.
284 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3498029665

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