Eine Familie voller Frauen

Keto von Waberer schreibt einen Familienroman, in dem die Wörter "Vater" und "Mutter" kaum vorkommen

Von Matthias AumüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Matthias Aumüller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zuerst im Jahr 1987 erschienen, ist Keto von Waberers Roman "Blaue Wasser für eine Schlacht" nun als Taschenbuch herausgekommen. Ihr Werk, das im Berliner Taschenbuch Verlag neu aufgelegt wird, besteht aus mehreren Erzählungsbänden, so dass der Roman eine besondere Stellung innerhalb ihres Schaffens einnimmt. Es ist ein Roman, in dem man zwangsläufig auf Geschlechterrollen stößt.

Im wesentlichen sind es drei Generationen, die in diesem Familienroman ihren Auftritt haben und die von drei Frauen repräsentiert werden: Paula, Marie und Bettina. Bettina, die den meisten Raum im Buch einnimmt (und möglicherweise alter ego der Autorin ist) wird im Zweiten Weltkrieg geboren. Ein knappes Drittel des Romans ist jedoch mit der Vorgeschichte beschäftigt, also den beiden Frauenfiguren, die in Bettinas Leben hineinspielen. Ihre Mutter Marie, die am Ende der Geschichte als Tote die Erinnerungen der Erzählerin stimuliert, und Paula, Maries Tante, bei der Marie aufgewachsen ist. Diese Vorgeschichte wird hauptsächlich aus der Sicht Maries geschildert, auf die nach hundert Seiten die Bettinas folgt, was einen Perspektivbruch mit sich bringt, an den man sich gewöhnen muss.

Es sind jedoch nicht so sehr die Generationen, die im Mittelpunkt des Romans stehen, als vielmehr die Individuen, die die drei Frauen darstellen, hier vor allem ihre verwickelten Beziehungen untereinander. Bettinas Geschichte ist die Geschichte einer Heranwachsenden, die die Teenagerprobleme der 50er Jahre lebendig werden lässt. Bettina steht durch ihre Liebe zu Joe nicht nur im Konflikt mit ihren Eltern, sondern beobachtet auch deren Beziehungstragödie. Marie, die mit Bettinas Eintritt in den Roman eigentlich in den Hintergrund gedrängt wird, gewinnt an Präsenz, sobald man ihr Schicksal aus dem Reich der Andeutungen und unkommentierten Konstatierungen hervorholt. Es sind vielleicht die stärksten Partien des Romans, wenn von dem Verhältnis der Eheleute zueinander erzählt wird, von der Ausweglosigkeit der verfahrenen Kommunikationsgewohnheiten. Am Ende erfährt man, dass Marie an Alzheimer oder einer ähnlichen Krankheit zugrunde geht.

So individuell die Frauen erscheinen, so dürftig werden die Männer dargestellt. Sie sind der Erzählerin fremd, ob das so sein soll oder nicht. Denn so nah sie bei ihren weiblichen Charakteren ist, so fern steht sie den Männern, selbst der Vaterfigur mit Namen Guido. Er macht bereits als junger Liebhaber Tante Paula den Hof, doch bleibt der zukünftige Kunsthistoriker der eher einfachen Frau mit dem warmen Herzen fremd. Dafür scheint die kleine Marie ihn zu mögen. Die beiden laufen sich später erneut über den Weg, und Guido schickt sich an, Marie nach seinem Geschmack zu formen, indem er ihr - das ist das Wichtigste - Bildung angedeihen lässt. Anschließend nimmt er sie zur Frau, jedoch nicht ohne vorher mit Paula eine Affäre gehabt zu haben.

Zunächst könnte man vermuten, dass Männer in dieser Welt nur als brutale oder kaltherzige Deppen vorkommen. Aber es gibt auch die sanftmütigen Deppen wie Onkel Georg, mit dem Paula zusammenlebt, als es in ihrem Leben ruhiger wird. Auch ihr unehelicher Sohn Ludwig könnte dieser Kategorie hinzugezählt werden, ebenso wie Joe, Bettinas erste Liebe. Aber das ist schon zuviel gesagt, denn ihre Persönlichkeiten bleiben bloße Schemen. Einzig Guido wird ausführlich von außen dargestellt. Es ist ein Rätsel, was in diesem Menschen vorgeht, der seine Tochter liebevoll auf den Schoß nimmt, aber dann auch einmal mit dem Ochsenziemer traktiert. Rätselhaft ist auch, warum sich keine der Frauen eigentlich Gedanken darüber macht, was in Guido vorgeht. Es ist zu bequem, in ihm nur die Widersprüche der Zeit vereint zu sehen.

Die wahre Heldin dieses Buches ist Marie, deren Schicksal zugleich das tragischste ist. Während Bettina so umstandslos ein Kind von einem Studenten ihres Vaters bekommt, wie sie ihn anschließend emotionslos heiratet (diese Umstandslosigkeit könnte aber auch an der stark gerafften Erzählweise liegen, die epilogartig einem Referat gleicht), zerbricht ihre Mutter Marie an Guidos strengem Regime. Sie glaubt ihm verpflichtet zu sein und richtet ihr eigenes Leben nach seinen Wünschen aus. Ihr ganzes Leben ist der Aufgabe geweiht, für Mann und Kind da zu sein. Sicherlich ebenso ein Klischee der Zeit wie Guidos Einstellung zu den unschuldigen Liebesabenteuern seiner minderjährigen Tochter. Aber nichtsdestoweniger wahr und tragisch. Anfangs scheint es vorbildlich zu funktionieren, aber das Verhältnis zwischen Guido und Marie wird marode, und es erstaunt einen nicht, dass sich Guido irgendwann eine andere Frau sucht. Marie dagegen wird mit der Zeit immer wunderlicher. Sie zieht sich mehr und mehr aus dem Leben zurück, und je weniger sie ihren ursprünglichen Aufgaben in der Familie nachkommt, desto enttäuschter reagiert natürlich Guido - eine aus vielen Familienromanen bekannte Konstellation. Keto von Waberer gelingt es, diese alltägliche Tragödie mit einer eigentümlichen Mischung aus Distanz und dennoch Einfühlsamkeit zu schildern. Distanz und Einfühlsamkeit - diese Allianz ist es wohl, die diesen Roman insgesamt auszeichnet und seine Anziehungskraft begründet.

Titelbild

Keto von Waberer: Blaue Wasser für eine Schlacht. Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2002.
346 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3442761255

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