Spotlights auf eine Epoche

Werner Schneiders Lexikon der Aufklärung

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Aufklärung als ein Projekt der Moderne ist immer noch und wieder aktuell. Das meint zum einen den emanzipatorischen Impuls der Aufklärung, der es den Menschen seit dem 18. Jahrhundert ermöglichte, selbstbestimmt, ,vernünftig' die sie unterdrückenden feudalen Machtverhältnisse in Frage zu stellen und schließlich zugunsten neuer Gesellschaftsideale zu überwinden: Aus den Fesseln der Unmündigkeit hinaus in die Freiheit! Keine Freiheit aber ohne Verantwortung. Sich ihr zu stellen bietet Aufklärung ein wirksames Rüstzeug: die kritische Vernunft des Individuums. Sie begründet ein universales Ideal der Aufklärung: die gerechte Gesellschaft, in der freie und autonome Menschen in kritischer Selbstbestimmung ihr Dasein gestalten.

Ein Lexikon zum Verständnis der Aufklärung ist also immer ein begrüßenswertes Bildungsunternehmen. Das vorliegende Werk, an dem rund hundert Autoren (!) mitgewirkt haben, sucht den Zugang zur Epoche der Aufklärung dabei nicht über die Abstrakta zentraler Texte oder philosophischer Gedankengebäude, sondern befragt ,Allerweltsstichworte' auf ihren Erkenntniswert für Aufklärung. Unter den rund 240 Stichworten von "Aberglaube" bis "Zürich" bieten solche wie "Fabel", "Briefe", "Erotik", "Klugheit", "Mode", "Reisen", "Stadt" einen spezifischen Zugang ,von unten' zur Epoche. So ergeben sich reizvolle Spotlights auf eine Epoche - freilich ohne ihre gedanklichen Grundlagen zu erläutern. Und da liegt das Problem: Kann man in einem Lexikon der Aufklärung auf Namen wie Lessing, Hobbes, Locke, Rousseau, Kant, Montesqieu und ihre Schriften verzichten? Wer wissen will, welche speziellen Ideen der Aufklärung sich mit diesen Namen verbinden, wird in diesem Lexikon keine Auskunft finden. Im Stichwortverzeichnis tauchen die Namen nicht auf, ein Register gibt es nicht. Trotzdem ist natürlich von ihnen die Rede: so wird beispielsweise im Stichwort "Theater" der Einfluss von Lessings "Hamburgische Dramaturgie" (1767/68) auf die Entwicklung des Deutschen Theaters kurz erwähnt; im Stichwort "Staatsphilosophie" wird auf Hobbes "Leviathan" verwiesen: "Die englische Staatsphilosophie geht allerdings von Th. Hobbes aus, der in seinem Leviathan dem Staat zwecks Verhinderung von Bürgerkriegen absolute Macht zugesprochen hatte". Auch die Schriften Lockes werden in diesem Artikel nicht unterschlagen: "Locke übernahm zwar das die Entstehung des Staates erklärende Vertragsmodell, verstand aber den vorstaatlichen Naturzustand als einen durch moralische Gesetze (Naturrecht) geregelten Zustand der Gleichheit und Freiheit". Und natürlich wird im Stichwort "Gesellschaftsvertrag" Rousseaus "Contrat Social" erwähnt: "Rousseau konstruiert sein Vertragsmodell ausgehend von einem Naturzustand der Gleichheit aller, bei der Entscheidung für den contrat social wird der Wille eines jeden Individuums mit dem gemeinsamen Willen aller in Übereinstimmung gebracht."

In gleicher Weise finden sich Verweise auf Kant oder Montesqieu in unterschiedlichen Artikeln. Alles richtig, aber nicht ausreichend! So bietet das Lexikon einen zu bequemen Weg: Man verzichtet auf komplexe Originaltexte bzw. eine kundige Zusammenfassung und Einordnung derselben, und bietet statt dessen mit jedem einzelnen Stichwort Mosaiksteinchen zur Rekonstruktion dessen, was die Epoche der Aufklärung sein kann. Das mag für den Nutzer des Lexikons je nach Lust und Vorbildung reizvoll sein. Eine fundierte Einführung in das Denken der Aufklärung kann dieser Weg nicht ersetzen.

Titelbild

Werner Schneiders (Hg.): Lexikon der Aufklärung. Deutschland und Europa.
Verlag C.H.Beck, München 2001.
462 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 340647571X

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