Exzellentes Ratatouille

Markus Bundis zweites Buch "lichterdings"

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Da steckt viel drin im zweiten dünnen Bundibuch: Anna vergewaltigt den Mantel. Die Matrix dient als Vorspiel. Der Nahe Osten droht. Die Mundart-, die Hochdeutschgedichte buchstabieren Altpapier und Nebelleben. Komposition? Sammelsurium? Guazzabuglio?

Die Vermischung der Formen an sich ist schon erstaunlich, denn obwohl Goethe meinte, "Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen", führen bunt zusammengewürfelte Bücher in der Belletristik ein Schattendasein. Viele Lektoren warnen, dass kaum etwas so rasch zur Manuskriptablehnung führe wie eine Mischung aus Prosa, Lyrik, Essay. Dahinter steht der Eintopfekel; der Autor als überforderte Hausfrau, die aus allerlei Resten etwas kocht, das böse Zungen "gedrängte Wochenübersicht" nennen und auch so schmeckt.

Bei Markus Bundis Band "lichterdings" hingegen handelt es sich eher um ein Ratatouille, und wie jeder gute Koch weiß er, dass dessen Qualität von dreierlei abhängt: den Zutaten, deren Abstimmung samt liebevoller Behandlung und schließlich deren getrennter Zubereitung (denn erst durch das Zusammenfügen kurz vor dem Servieren ergibt sich die ideale Balance zwischen Eigengeschmack und Gesamtgeschmack).

Bundi, Jahrgang 1969 und auch Kulturjournalist, fügt fünf Teile zusammen, aus "Prosa und Gedichten" (so auch der Untertitel), von denen jeder für sich bestehen kann, eigene Qualitäten besitzt und eigenen Charakter: "Kleine Matrix. Ein Vorspiel", "Der beredte Mantel" (Kürzestgeschichten-Komplex einer Liebe), "s isch wies isch" (lakonische-klangvolle Mundartgedichte), "Rechts und links vom Jordan" (fast eine Israelreise-Reportage) und "lichterdings" (meist Liebesgedichte). Ohne ihren autonomen Reiz zu verlieren, durchdringen sich die Teile und heben gegenseitig ihren Geschmack. Es fehlt auch nicht an ausgesuchten Bindemitteln, an Wortkräutern und -gewürzen für einen gemeinsamen Fond, doch setzt sie Bundi, wie schon in seinem letztjährigen Erstlingsband "AusZeiten", sparsam und vorsichtig ein. Ihm geht es genauso um das Wort wie um den Zwischenraum (den manchmal Bilder von Peter Hallers Papierwerken ideal ausfüllen), um den Sinn wie um die Leere, um den Witz wie um die Liebe. Er spielt zärtlich mit Vokalen, sammelt Umlaute, wendet Wörter, kostet Konventionen aus, bis sie tanzen:

Damit wären wir bei Anna. Die meldet sich nicht, obwohl sie längst wieder da ist. Das treibt den Ich-Erzähler des "Beredten Mantels" in den Wahnsinn, schlimmer noch, zur Selbstaufgabe. Er ruft an, verabredet sich, wartet; enttäuscht, aggressiv, sehnsüchtig, verliebt, unsicher. Sie erscheint und sagt: ",Ich habe dir doch versprochen, ich komme zurück zu dir, hm?' Da ist er, dieser Anna-Satz, mit diesem alles erledigenden ,hm?', das mich nur noch einfältig nicken lässt wie den Kunststoffdackel hinter der Heckscheibe von Annas Auto. ,Willst du die Fotos sehen?'" Ob es dieser wunderbare Kontrast von Annas abschließender Alltagsphrase und der Gefühlsachterbahnfahrt des Ich ist oder doch einfach das unergründliche "hm"? Wobei man - wie an wenigen Stellen noch - einwenden könnte, dass das "hm" noch viel stärker ohne die Erläuterung danach gewirkt hätte, fast wie Alkmenes "ach" bei Kleist.

Der Vergleich ist nicht allzuweit hergeholt, denn Bundis Prosa liebt auch rhetorische Volten und Posen, versteckt im Unterholz der komischen Alltagsbeschreibungen. Da finden sich Worte, platterdings buchenswert und doch immer funktionell: "Der letzte Zug fährt immer zu früh und der letzte Satz ist immer zuviel." Oder: "Meine Türen haben alte Schwellen / darüber lässt sich stolpern." Oder: "Wäre ich nicht das erste Mal in einer Wüste, ich könnte mich vielleicht auf etwas konzentrieren."

Da sie immer neue Ansichten ermöglicht, erinnert die Formenvielfalt der Texte Bundis an E. T. A. Hoffmanns Diktum: "Ich denke mein Ich durch ein Vervielfältigungsglas." Dabei durchziehen alle Zeilen, ob Lyrik, Reportage, Prosa, die (Wort-)Liebe, dazu Melancholie, Freude am Rätsel, Spiel und heller Witz, vor allem aber eine erstaunliche Leichtigkeit, die das Schwere schweben lässt.

Titelbild

Markus Bundi: lichterdings. Prosa und Gedichte.
Wolfbach-Verlag Jean-Marc Seiler, Zürich 2002.
112 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3952283118

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