Professionelle Helfer oder helfende Nächstenliebe

Die Beiträge eines Sammelbandes wägen das Für und Wider der Sterbehilfe ab

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gut gemeint, so weiß der Volksmund, ist nicht immer gut getan. So wird man wohl vermuten dürfen, dass die Tat eines Lebensretters stets gut gemeint ist. Ist sie aber auch immer gut getan? Wird etwa ein Suizidant in letzter Sekunde ins Leben zurückgeholt, so können sich hieran durchaus Zweifel regen. Zwar mag es zahlreiche verhinderte Suizidanten geben, die ihre ehemalige Absicht bedauern und nie wieder zum Strick, zum Giftfläschchen oder zur Pistole greifen; doch gibt es auch einige andere, die ihre 'Rettung' übelnehmen und nur darauf warten, den allgegenwärtigen Argusaugen ihrer Bewacher, etwa dem Personal einer geschlossen psychiatrischen Anstalt, für einen Moment zu enkommen, um die verhinderte Tat doch noch zu vollenden.

Ihre Wächter als "professionelle Helfer" zu bezeichnen, mag kurios anmuten, aber genau das tut Tilo Held. Auch ein Mensch, der sich im "Vollbesitz seiner freien Selbstverfügung" fühlt, könne psychisch krank sein, rechtfertigt er die paternalistische Entmündigung von Suizidanten, fehle ihnen doch das Bewusstsein der "Einschränkung eigener Freiheitsgrade". Kurz: ein Mensch, der sich die Freiheit nimmt, sich zu töten, bezeugt damit seine mangelnde Freiheit und muss festgesetzt werden. Assistiert wird Held von Adrian Holderegger, der den Suizid zum "Signum der Unfreiheit" erklärt und überhaupt der Auffassung ist, dass es "enormer (pathologischer) Kräfte" bedürfe, "um die vitale Antriebskräfte im Menschen zu überwinden", womit der Suizid schlechthin als krankhaft stigmatisiert wird. Darum erscheint es ihm "höchst fraglich", ob ein Suizid ein "Freiheitsakt" sein kann. In seinen weiteren Ausführungen äußert sich Holderegger differenzierter, vielleicht auch bloß indifferenter als Held. Zwar berechtige ein "gebrochener Lebenswille" nicht dazu, seinem Leben ein Ende zu setzen, doch dürfe man darum noch nicht - und hier geht es nicht mehr nur um Suizid alleine, sondern auch um aktive Sterbehilfe - "über jede direkte Beendigung menschlichen Lebens unbesehen ein Verdikt zu sprechen". Denn es stehe der ethischen Reflexion nicht zu, "persönliche sittliche Entscheidungen zu bewerten", vielmehr habe man sich hier, wie er einen Kantischen Topos aufgreifend sagt "des 'moralischen Urteils zu enthalten'".

Helds und Holdereggers Auffassung zu Suizid und Sterbehilfe sind in dem nun von Gerd Brudermüller, Wolfgang Marx und Konrad Schüttauf herausgegebenen Tagungs-Band zu einem vom "Institut für angewandte Ethik" 1999 veranstalteten Symposion nachzulesen, auf dem sich Philosophen, Theologen, Religionswissenschaftler, Juristen und Mediziner dem, wie die Herausgeber es nennen, "Suizidproblem" widmeten. Wie kaum anders zu erwarten, werden von verschiedenen Autoren einmal mehr etliche altbekannten Argumente gegen das Recht auf Suizid ins Feld geführt, ohne dass sie darum plausibler würden. Dass der Suizid kein Akt der Freiheit sein könne, weil er die Freiheit beende, überzeugt beispielsweise schon alleine deshalb nicht, weil ja kein unfreier Mensch zurückbleibt, sondern eine Leiche, auf die die Kategorien frei oder unfrei nicht zutreffen.

Der Band erschöpft sich jedoch nicht in argumentativ oft klapprigen Verdikten des 'Selbstmordes', sondern zeichnet sich durch ein breites Meinungsspektrum aus, so dass auch Befürworter des Rechtes auf Suizid und auf Sterbehilfe zu Wort kommen. Volker Lipp etwa plädiert für ein Selbstbestimmungsrecht von Patienten, das auch "das Recht auf seinen eigenen Tod" umfasse. Verlange ein Patient, dass lebenserhaltende Maßnahmen eingestellt werden, so müsse der Arzt dem nachkommen. Die vielleicht radikalste Position vertritt jedoch Wolfgang Marx. Er macht sich dafür stark, die "freie Gestaltung des Lebensendes" grundsätzlich als Menschenrecht anzuerkennen. Es gebe schlechthin keine Instanz, so argumentiert er, die dem menschlichen Individuum das Recht streitig machen könne, sein Lebensende, "das es zu antizipieren in der Lage und somit in den Deutungszusammenhang seiner selbst zu integrieren fähig ist, als den für es entscheidenden Endpunkt aller seiner Gliederungsleistungen sich verfügbar zu machen". Ein "erzwungenes bloßes Lebendigsein jenseits der Grenzen der Würde, Selbstachtung und Selbstliebe", müsse gerade "im Sinne der Selbstwerterhaltung" ausgeschlossen werden. Anders als Tilo Held versteht Marx unter der einem Suizidanten zu gewährenden Hilfe gerade nicht die Verhinderung seines Vorhabens, sondern die praktische Unterstützung, denn es gebe keinen vernünftigen Grund, der Menschen verbiete, "in vertrauter Gemeinschaft mit einem Suizidwilligen" die "erwünschte Nächstenliebe" "praktisch zu realisieren". Jedoch habe der Suizidant keinen "moralischen oder rechtlichen Anspruch" auf eine solche Hilfe.

In einem Anhang kommen verschiedene Philosophen zur Frage der Selbsttötung zu Wort, darunter Platon, Spinoza, Kant und Sartre. Merkwürdigerweise fehlt aber gerade der Philosoph des Suizids schlechthin. Noch am Tage, an dem Philipp Mainländer das erste druckfrische Exemplar seiner dickleibige Apologie des Suizids, der "Philosophie der Erlösung" in den Händen hielt, erlöste er sich selbst mit Hilfe eines Strickes.

Titelbild

Gerd Brudermüller / Wolfgang Marx / Konrad Schüttauf (Hg.): Suizid und Sterbehilfe.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2003.
244 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3826020588

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