Würdigung eines Lebenswerks

Inge und Walter Jens erzählen das Leben der "Frau Thomas Mann"

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein sehr schönes Buch. Geschrieben mit souveräner Kennerschaft und sprachlich-nobler Eleganz. Dabei ebenso schlicht wie klar im Aufbau über sieben Kapitel, die das Leben der Frau Thomas Mann, wie sie sich zuweilen in ihren Briefen nannte, widerspiegeln. Es beginnt "Im Hause Pringsheim", führt über "Studium und Hochzeit" in "Eine großbürgerliche Familie", und als "Frau Thomas Mann" über das "Exil in Europa" bis nach "Amerika" und endet "Ohne den Zauberer".

Katia Pringsheim wurde als fünftes Kind (und einziges Mädchen) des Mathematikprofessors Alfred Pringsheim und seiner Frau Hedwig Pringsheim am 24. Juli 1883 geboren. Bei Pringsheims herrschte ein im besten Sinne liberales Erziehungsklima. "Erzogen", so schreiben die Autoren, "wurden sie (die Kinder, HGL) in der Tat; aber eben nicht abgerichtet oder mit Lernstoff vollgestopft. Sie erhielten Angebote und durften wählen." Und zu wählen gab es im Pringsheimschen Haus allerlei. Das Palais in der Münchner Arcisstrasse war ein kultureller Mittelpunkt, Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft gingen ein und aus. Die Einrichtung des Hauses galt als wahres Kunstmuseum. Vater Pringsheim, früher Wagnerianer und persönlicher Bekannter Wagners, galt als "Kunstsammler größten Stils". Ein ,Vergnügen', dem er unbesorgt nachgehen konnte, denn während der Gründerzeit hatte die Familie beträchtlichen Reichtum erworben. Ebenfalls dem Kulturellen zugetan die Mutter Hedwig. Sie, Tochter des "Kladderadatsch"-Redakteurs Ernst Dohm und der Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, war einige Zeit Schauspielerin im berühmten Meininger-Ensemble gewesen. Auch wenn die "Meiningerei" nur eine kurze Episode blieb, in "dem unausschöpfbaren Schatz" ihrer Erinnerungen mochte sie sie "um keinen Preis missen." Schon der Ton dieser Bemerkung lässt eine selbstbewusste Frau kenntlich werden. Mit solidarischer Sorgsamkeit stand sie zu ihrer Familie - besonders zu Tochter Katia. Ihr und ihrem Haushalt blieb die Mutter allzeit mit Rat und Sorge verbunden. Während der Münchner Zeit des Ehepaares Mann ging man im jeweils anderen Haushalt ein und aus. Es ist ebenso erhellend wie amüsant, aus den Aufzeichnungen und Briefen der Hedwig Pringsheim (sehr oft an den Freund Maximilian Harden), zuweilen durchaus ironisch kommentierende Einblicke in das Geschehen bei "Tommys" zu erhalten. Ohne Zweifel eine beeindruckende Frau, von deren Präsenz und Lebensart die Tochter einiges zum Vorbild für das Management ihrer nunmehr Mannschen Familie genommen hatte.

Eigentlich, so erzählte Katia Mann 1974 in ihren "ungeschriebenen Memoiren", war "mein Vater nicht so sehr dafür, daß ich einen Schriftsteller heirate." Bei Pringsheims achtete man zwar den aufstrebenden Lübecker, indes spöttelte man bisweilen auch über dessen allzu linkischen Eifer in Gesellschaftsdingen. Immerhin, die von ihm ziel- und strategiebewusst angegangene Hochzeit kam zustande. Ein kurzes Zögern der Umworbenen konnte schließlich durch die Vermittlung des Zwillingsbruders Klaus Pringsheim überwunden werden. Die vertrauliche Beziehung zum Bruder hielt bis zu seinem Lebensende 1972 und hatte nach Thomas Manns Tod 1955 eine späte Intensivierung erfahren.

Während der Münchner Jahre galt es, einen großbürgerlichen Haushalt zu managen, in den in rasch gleichmäßiger Folge sechs Kinder geboren wurden. Auch wenn es den Manns an materiellen Ressourcen nicht mangelte (immer wieder mal gab es Zuschuss aus dem Pringsheimschen Vermögen), waren doch im Verlauf der Kriegsjahre die Lebensbedingungen in der "Poschi", dem 1914 neu erbauten Haus in der Poschingerstraße, beschwerlich geworden - und kraftraubend für die "mater familias". Immer wieder waren Sanatoriumsaufenthalte zur Erholung vonnöten. Doch wie ergiebig - wenn schon nicht für die Gesundheit Katias, so doch für die ,Werkstatt' Thomas Manns: denn Katia Mann wusste als "Muse und Kundschafterin" des Gatten das zukünftige "Zauberberg"-Szenario mit passenden Impressionen zu bereichern.

1933 endete abrupt die großbürgerliche Münchner Zeit. Eine Vortragsreise, zu der man im Februar des Jahres nach Amsterdam gereist war, wurde zum unbeabsichtigten Beginn der Exilzeit: München würde man erst 16 Jahre später wiedersehen. Mit praktischem Sinn organisierte Frau Thomas Mann nun das Exil. So gelang es ihr zunächst in der Schweiz, später dann in den Vereinigten Staaten, immer rechtzeitig jenes Ambiente herzustellen, das Thomas Mann wie selbstverständlich als seine ,Bedingungen' der Arbeitsfähigkeit kannte. Standen Schreibtisch und das komfortable Arbeitszimmer zur Verfügung war die Kontinuität seines schriftstellerischen Schaffens gewährleistet. Sie selbst stand mit ihren Wünschen klaglos zurück. Lediglich ihrer späten Freundin Molly Shenstone gegenüber deutete sie zuweilen ihre eigenen Gefühle an - etwa anlässlich des Umzugs aus Princeton, wo sie sich besonders wohl gefühlt hatte, nach Kalifornien: "I really left princeton with heavy heart." Aber auch jetzt: der "amazing familiy" galten alle Energien. In der Auseinandersetzung der älteren Kinder Erika und Klaus mit dem verstörten Vater, der über lange Wochen keine klare Haltung zur politischen Bedeutung des Exils finden konnte, erwies sich "Mielein", wie die Kinder die Mutter nannten, als geduldige und kluge Moderatorin. In Solidarität mit den Kindern, deren Beurteilungen sie teilte, galt doch - wie immer - das Primat der Sicherstellung der Schaffenskraft Thomas Manns. Bei aller sorgsam-klugen Solidarität hatte sie immer die ganze Familie im Sinn. Das galt für die auf ihre Art bis ins Erwachsenenalter eigenwillig-problematischen Kinder ebenso wie nach 1933 für die in München verbliebenen Eltern. Die hatten erst 1939 im allerletzten Moment nach Zürich auswandern können. Es galt aber auch für Heinrich Mann, den sie während seiner traurig-beschwerlichen letzten Jahre im kalifornischen Exil zu unterstützen wusste.

Nach dem Tode Thomas Manns schrieb Katia Mann an ihre Freundin Molly Shenstone: "Der eine, der mich wirklich braucht, ist nicht mehr da. Und ich kann nicht viel Sinn in meinem weiteren Leben sehen." Doch noch blieben Frau Thomas Mann 25 Jahre. Sie forderten sie weiterhin als "mater familias" ebenso wie als sorgsame Sachwalterin von Werk und Ansehen Thomas Manns. Katia Mann starb am 30. April 1980 im Kilchberger Haus. Sie wurde beigesetzt auf dem dortigen Friedhof an der Seite Thomas Manns. "In dieser Familie", so sagte sie einmal, "muß es einen Menschen geben, der nicht schreibt." Schön, dass nun auf diese würdige Art über sie geschrieben wurde.

Titelbild

Inge Jens / Walter Jens: Frau Thomas Mann. Das Leben der Katharina Pringsheim.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003.
352 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3498033387

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