Alexandriner der Große

Barocke Pracht von H. C. Artmann in "Auf Todt und Leben"

Von Thomas HermannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Hermann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kraftvoll steht die Virgel schräg im Wörterfluss / rahmt mächtig die Sentenz / viel eindrucksvoller als das vermaledeite Komma, welches müde sich lümmelt am unteren Zeilenrand. Famos ist die Ortografie, voll Einfallsreichthumb, und derenthalben ein Genuss zu schauen, und ein Genuss zu lesen ebenso.

A.D. MM hat er ihn niedergemäht, der Sensenmann den Artmann. Nach 79 Jahren kann man auch guten Gewissens mit dem Boandlkramer aufi reiten (insofern Güte und Gnade der Seel zuteil werden), kann den verlebten Leib - als "Mann Welt" - dem Gewürmb zur Speis darreichen. Nach drei Tagen saftlt jede Leich, nach drei Monaten fällt der morsche Sarg unter der Last des GOttesackers, unter der Last geweihter Soden in sich zusammen, bricht dem Gerippe das Gebein. Das hat ihm bestimmt gefallen, dem Artmann, und dem Sensenmann sowieso.

Klaus G. Renner hat das Gesamtwerk des Wieners gesichtet und nach Poeterey durchsucht. Natürlich ist er fündig geworden. Die kleine Anthologie "Auf Todt & Leben" bündelt das Geerntete, gibt Kostproben und verschafft einen Einblick in den Artmann des 17. Jahrhunderts. Der Herausgeber: "Wie begierig glaube ich Dich, geneigter Leser oder Zuhörer, mit dem kurtzweiligen H. C. Artmann, dem Fürsten der Poesie, Bekanntschaft zu machen, ja vielleicht sogar mehr." Es ist drin, was man so braucht: Epigramme, Schelmenromane (in Auszügen), geistliche Lieder, Bildgedichte, immer wieder Tod und Tod und Verderben, kein Sonett ... Kein Sonett? Moment! Nein, auch nach mehrmaligem Hin- und Herblättern findet sich ums Verrecken kein Sonett. Macht aber nix, is trotzdem alles total barock.

Es beginnt nach einem ganz kleinen Schmatzer über Schweinsbraten mit Kraut und Knödeln. Darauf folgen Teile von "Der aeronautische Sindtbart oder Seltsame Luftreise von Niedercalifornien nach Crain". Der Soldat hat sein Handwerk satt, hängt es an den Nagel und bringt den Waffenrock zum Flohmarkt. "Aber auf meiner schönen uniform, die ich im dienste eines unehrlichen potentaten dannoch mit ehr hatte getragen, saßen mittlerweile schon die schmeißfliegen des mittags, und ich dachte, wie gut es überdies seie, nicht selbst darinnen zu stecken, was ja oft und genug vorkommt, daß man in einem kriegerischen kleide stecket, vor lauter blut nimmer heraus kann und die fliegen kriechen und krabbeln wie ameislein vorm gewitter und legen ihre weißen eier." Statt am niedercalifornischen Boden zu verfaulen schwebt er davon, in einer "lufftmontgolphière". Nach einem kleinen Zwischenfall mit einem versprengten Infanterieregiment und gewissenhafter Lektüre eines Handbuchs über das Aeoronautentum entschwindet er daedalisch, neuen Abenteuern entgegen, bis in die Schweiz. Copilot ist ein Bär. Bei so viel unverhohlener Flunkerei wird der rechtschaffene Leser zwar bisweilen puterrot, dennoch jauchzt er vor Glückseligkeit über so viel gnadenlose Freude an der Schreiberei, und über den Schelm, der lügt, bis man es druckt.

Wer lügt, der sündigt, und wer sündigt, muss büßen und beten. Deswegen kontrastiert Renner in der Abfolge seiner Zusammenstellung die wuchtigen, lebenslustigen Fantastereien Artmanns mit dessen sinnierender Versunkenheit. Was auf der einen Seite pocht und trotzt ist auf der anderen Seite Asch und Bein. In "Treuherzige Kirchhoflieder" grübelt der Dichter über das Danach, das Ende, die Folgen des letzten, furchterregendsten aber spannendsten Sakramentes:

"o mein rosenfarber mund

wie bist mir sehr erblasset

ich kann es noch nicht fassen

daß man mir schon die lichter tragt

durch einen tränennebel.."

Nach neun Epigrammen auf diverse Dichter (u. a. auf Lord Byron und Pablo Neruda) wird schon wieder gestorben, aber diesmal auch gelebt, geliebt und gelitten. In "Vergänglichkeit & Auferstehung der Schäfferey" (übrigens von Hieronymo Caspar Laërtes de Artmano) huldigt der Autor dem Sein, dem Nicht-Sein und dem Zusammen-Sein. Die verschiedenen Zustände treten in undurchsichtigen Larven auf, der Tod unter anderem als "ein mauß-fallen", der Kuss "alß Trojaner-pferd", der Liebeskummer "alß ein Gut-Nacht-Seuffzer".

"auff das Leben alß einen mannhaften bomben-Werffer

ich will zum lorberhain anstatt zur catacombe /

ach lentze / tief in dich werff ich dir itzt mein hertz /

ach dunckle berg & thal / mein blut spritzt morgenwärts /

es birst die schattennacht vor dieser starcken bombe ..."

Zum Schluss darf Artmann noch einmal mit geballter Wortgewalt zu einem hochbarocken Finale furioso ansetzen. Sämtliche Trübsal wird mit wehenden Fahnen überrannt und verjagt, alles, was das Welttheater an prächtigem Prangen hergibt, wird mobilisiert. "Von denen Husaren und anderen Seil-Tänzern" plündert ohne Gnade bei den Anwesenden des Treffens von Telgte, nachts, wenn sie vollgefressen und zugesoffen sind. Der Husar sprengt durch die Landschaften, begegnet anrückenden Türken, hält kurz inne am Venusberg, galoppiert weiter zu einer Mohrenjungfrau, zu behenden Waldmenschen &c. &c. Doch auch das Husarentum kann bisweilen beschwerlich sein: "Guten abend, herr soldat, wo soll es heute noch hingehen? Viel staub und wenig geld auf der straße. Was wunder, daß du ein so schiefgedrechselt gesicht aufsitzen hast!"

Wer H. C. Artmann noch nicht kennt, der lernt ihn dank Klaus G. Renners Blütenlese kennen. Der engelszüngige Höllenhundling H. C. tritt hier auf als ein Mann wie ein Baum. Das jahrhundertealte Gewächs reckt sich nicht nur mächtig der Sonne entgegen, sondern hat seine Wurzel auch tief in die kühle Erde geschoben. Und wenn man dann so sitzt in der Kammer, den Artmann lesend, wenn das funkgesteuerte Stundenglas langsam verrinnt und es derowegen Zeit wird, sich in des Hypnos Arme zu werfen, dann lässt man den Docht aus Wolframit verlöschen und schlägt das Büchlein zu. Das Zuschlagen macht einen kalten Lufthauch, der kalte Lufthauch lässt einen frösteln, es wird einem ganz vanitas. Sollte es jetzt dreimal dunkel Pochen an der Türe, so schließt man schleunigst besser dreimal ab, vernagelt die Türe, schiebt den Schrank davor und das Regal und den Sessel und das Sofa.

Titelbild

H. C. Artmann: Auf Todt & Leben. Eine barocke Blütenlese.
Herausgegeben von Klaus G. Renner.
Manesse Verlag, Zürich 2003.
128 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 371754036X

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