Biblizismus und Fundamentalismus

Esther Hornung untersucht den Einfluss der Neuen Christlichen Rechten auf die amerikanische Innenpolitik

Von Manu SlutzkyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manu Slutzky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gegen Ende der 70er Jahre gewannen fundamentalistische Christen in den USA Einfluss auf die amerikanische Politik. Jerry Falwell und Pat Robertson, zwei sendungsbewusste, ehrgeizige Führungspersönlichkeiten der "New Religious Right" (NCR), begannen, sich im Präsidentschaftswahlkampf für Ronald Reagan einzusetzen und die konservative, evangelikale, anti-liberal eingestellte Bevölkerung für die Republikaner ("das kleinere Übel") zu mobilisieren. In den 80er Jahren gründete Robert J. Billings die "Moral Majority", eine Sammlungsbewegung des NCR, dessen wichtigster Repräsentant Jerry Falwell wurde, Pastor der Thomas Road Baptist Church in Lynchburg, Virginia, vielen Fernsehzuschauern aus der "Old Time Gospel Hour" bekannt.

In seiner Person gingen die "Neue Rechte" - Altkonservative, Anti-Kommunisten, Abtreibungs- und Scheidungsgegner und Verfechter der christlichen Ehe, Gegner des Liberalismus - und die Neue Christliche Rechte in den USA "auf Tuchfühlung", mit dem Ziel, Gottes Gesetze wieder im Alltag zu verankern und den "säkularen Humanismus" der Gesellschaft zu bekämpfen. Fallwell wurde bald zur Spottfigur des liberalen und anti-klerikalen Amerika und geriet u. a. in die Schusslinie von Larry Flynts "Hustler"-Magazine: Vom "Hustler" öffentlich gedemütigt, zog er wegen des erlittenen "emotional distress" bis vor das oberste amerikanische Bundesgericht (um dort schließlich zu unterliegen). Bis heute will er die Gesellschaft vor dem Bösen retten, vor Alkoholismus, Drogenkonsum, Ehebruch und natürlich Pornographie, und er wird nicht müde, für sich und alle rechten und 'aufrechten' Amerikaner einen Platz am Runden Tisch zu fordern, um die Geschicke der Nation mizubestimmen. Oft überschätzt, von interessierten Kreisen künstlich hochgerechnet, war der Zulauf, den der fundamentalistische Kleriker in den 80er Jahren verzeichnen konnte, zumindest publicityträchtig, und nicht wenige Beobachter haben Reagans Wahl und Wiederwahl zum Präsidenten mit auf die Wahlkampfhilfe der Moral Majority zurückgeführt.

In ihrer Dissertation untersucht Esther Hornung den Einfluss dieser und anderer Persönlichkeiten und Vereinigungen auf die amerikanische Innenpolitik. Klug und differenziert trifft sie einige wichtige Unterscheidungen, um den Begriff des "protestantischen Fundamentalismus" näher einzugrenzen. Im Vordergrund des Fundamentalismus steht die Religion als Orthodoxie. Das unterscheidet ihn von "pseudoreligiösen" Bewegungen (Scientology, Esoterik usw.) ebenso wie von "heterodox-religiösen" Sekten und Privatoffenbarungen (Zeugen Jehovas, Mormonen, Engelwerk, New Age etc.), von Biblizisten ebenso wie von bestimmten politischen 'Glaubensrichtungen' (Konservatismus, Rechtsextremismus). So charakterisiert der Satz: "Members of the Christian Right are also very fundamentalistic in their religious beliefs; they belief in a literal interpretation of the Bible in all respects" zunächst einmal den Biblizismus und nicht a priori auch den Fundamentalismus. Solche Unterscheidungen sind zentral, auch wenn zu konzedieren ist, dass protestantischer Fundamentalismus, Biblizismus und Rechtsextremismus oft zusammenspielen und sich in ihrer Wirkung auf die amerikanische Innenpolitik potenzieren.

Die Verfasserin, die selbst einige Zeit in den USA gelebt hat, lässt ihre Untersuchung in eine Befragung ausgesuchter Gemeinden im Mississippi County, Arkansas, münden, einer der ärmsten Gegenden der USA. Gefragt wird nach dem Wahlverhalten, nach der Haltung zu Israel, nach Themen wie Kreationismus, Familie, Abtreibung usw. Hornung kommt zu dem Ergebnis, dass in ihrem Untersuchungszeitraum, von der Wahl Ronald Reagans zum amerikanischen Präsidenten 1980 bis zur Mitte der 90er Jahre, "ein Kulturkampf um die nationale Identität der USA ausgetragen" wurde, in dem fundamentalistische Kirchen und Akteure ihre Überzeugungen in das politische System hineinzutragen suchten. Hornungs Studie ist um Fairness bemüht, doch die Gefahr, die von konservativen evangelikalen Gruppierungen ausgehen kann, wird deutlich herausgearbeitet. Der protestantische Fundamentalismus dürfte nicht zuletzt auch zur Radikalisierung der liberalen Kräfte in "God's own country" beigetragen und die Gewichte insgesamt nach rechts verschoben haben - der Ausbund an Tollheit, der zur Zeit die Richtlinien der amerikanischen Außen- und Innenpolitik vorgibt, ist dafür nur ein Beispiel.

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Esther Hornung: Bibelpolitik. Das Verhältnis von protestantischem Fundamentalismus zur nationalen Innenpolitik der USA von 1980 bis 1996. Ein Fallbeispiel.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M./Berlin/Bern etc. 2002.
362 Seiten, 50,10 EUR.
ISBN-10: 3631394500

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