Auswüchse der Liebe

Keto von Waberer "Das Weiß im Auge des Feindes. 4 Liebesgeschichten"

Von Aline WillekeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Aline Willeke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Keto von Waberers Geschichten erzählen von Schattierungen der Liebe. Sie reichen von subtiler Verführung, einer heimlichen Affäre mit großem Altersunterschied, über unerfülltes Verlangen bis hin zur Einsamkeit eines Verlassenen. Es geht um Abhängigkeiten und das Ungleichgewicht in der Liebe, wenn einer mehr liebt als die Andere oder umgekehrt.

Die vier Liebesgeschichten sind Variationen des Immergleichen, ohne bloß naive, romantische oder konventionelle Vorstellungen von der Liebe zu bestätigen. Im Gegenteil: Die Figuren handeln keineswegs selbstlos. Sie suchen in ihren Partnern oder Wunschpartnern nach Spiegelung und Bestätigung, sie wollen das Verlorensein nicht mehr ertragen müssen. Hinter Leidenschaft und Sehnsucht steckt Zweckmäßigkeit und der oft verzweifelte Versuch, Leere zu füllen und Einsamkeit mit Zweisamkeit zu vertreiben.

Die Liebesgeschichten wollen nicht zeigen, wie Liebende zueinanderfinden, sondern weshalb sie sich gefunden haben. Sie gewinnen durch ihre "subjektive Erzählweise" eine überzeugende Schärfe und Intimität.

In "Frau aus Lehm" webt die junge Pola spinnenartig ihr Netz der Verführung um eine Familie, indem sie sich zu deren Projektionsfläche macht. Sie verfügt über ein Arsenal von Rollen, Masken und Stimmen, derer sie sich bedient, um sich auf jedes Familienmitglied einzustellen. Aus der Sicht der Jüngsten, Lena im "Niemandsland" zwischen Kind und Pubertierender, ist bereits die Macht der Verführerin und ihre Zerstörungskraft zu spüren.

"Der schwarze Reiter" ist die Geschichte einer unmöglichen Liebe zwischen Phillip, einem jungen verheirateten Mann und werdenden Vater, und der weit älteren Ebba. Ebbas Freund Krokus ist verschwunden und Phillip versucht ihn zu ersetzen, beruflich als Redakteur einer Zeitung und privat als Geliebter von Ebba.

Eine düstere Farbe liegt über dieser Erzählung. Beklemmendes Einanderbrauchen, Rettenwollen und fiebrige Liebe zu einem Bild, die enttäuscht werden muss, motivieren die Substitutionen.

"Das Weiß im Auge des Feindes" erzählt von uneingelöster Liebe. Die attraktive Beamtin Lydia verliebt sich in ihren unscheinbaren und distanzierten Chef. Nach einem leidenschaftslosen Kuss, den sie erzwungen hat, entwickelt sich das Verlangen nach ihrem Vorgesetzten zur Obsession. Die Liebende verliert immer mehr den Bezug zur Wirklichkeit, idealisiert den Unerreichbaren und kann die Vergeblichkeit ihrer unerwiderten Liebe nicht akzeptieren.

In "Tisch und Bett" beschreibt Keto von Waberer mit Gespür für Situationskomik die Einsamkeit nach einer gescheiterten Beziehung. Theo, der Verlassene, gibt sich in einem Möbelhaus der Vorstellung von geborgener Zweisamkeit hin. Er setzt sich in ausgestellte Küchen und nimmt teil an fremdem Leben, nur um sein eigenes nicht leben zu müssen.

Jede Liebesgeschichte endet mit einer Katastrophe. Verlassene, Gewalt, Mord und Wahnsinn - das hat die Liebe so nicht gewollt, aber man war darauf vorbereitet. Keto von Waberers Liebesgeschichten erinnern an psychologische Fallstudien, beleuchten schonungslos Abgründe der Liebe. Ohne ein einziges Happy-End gelingt es der Autorin trotzdem, die Hoffnung auf die Liebe als höhere Macht nicht zu zerstören, denn es sind menschliche Auswüchse, die ihr den Weg verstellen. Feingesponnen, rauschhaft und anschwellend sind diese Liebesgeschichten. Jede folgt ihrem eigenen Rhythmus, dem Takt der liebesinfizierten Herzen.

Titelbild

Keto von Waberer: Das Weiss im Auge des Feindes. Vier Liebesgeschichten.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999.
220 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3462028456

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