Fragmentierte Geschichten aus dem fragilen Land der Liebe

Neue Erzählungen von Judith Kuckart

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Judith Kuckart, bekannt als Theaterregisseurin und Gründerin des Tanztheaters Skoronel, machte sich im vergangenen Jahrzehnt auch als Autorin einen Namen. Erst im letzten Jahr legte sie mit "Lenas Liebe" eine hochgelobte Geschichte über die Annäherung einer Tochter an ihre Mutter vor.

Der nun publizierte Band mit sechs unterschiedlich langen Erzählungen beschäftigt sich mit dem fragilen Land der Liebe und seinen Bewohnerinnen und Bewohnern. Was findet im Kopf einer Frau statt, wenn sie den Schwarm ihrer Schulzeit wiedertrifft? Wie sieht es mit der Liebe aus, wenn die eine Liebe stirbt und eine andere nicht in Sicht ist? Die Erzählungen leben von einer konzentrierten Darstellung, Menschen werden in ihren Beziehungen zueinander porträtiert, in Verhaltensweisen, Gesten und Bewegungen vorgestellt. Das Körperliche übernimmt durchgehend eine tragende Rolle, Manifestation des Empfindens. Ein weiteres Symbol sind Fotos, sie tauchen immer wieder auf, werden handlungstragend wie in "Die Blumengießerin". Die Protagonistin beginnt eine Affäre mit einem Mann, der Fotos von Frauen in Erotikwäsche oder auch nackt anfertigt. Fast gegen ihren Willen lässt sie sich ablichten; das Unwirkliche der Situation ist eingebettet in irreale Motive, die Frau hört in einem Schrank die Stimmen der Vorgängerinnen sprechen. Auch in "Maria mit Selbstauslöser" hat Fotografieren eine besondere Bedeutung. Ein Paar gerät in Entfremdung voneinander, der Urlaub, festgehalten in zahlreichen Fotos durch Selbstauslöser, dokumentiert diese Entwicklung und endet im Desaster.

Kuckart erzählt auf eine fast sachliche Weise, genau beobachtend, doch wirken einige Stellen zu konstruiert, es fehlt eine innere Logik, um zu überzeugen. Beispiel dafür ist die Erzählung "Die Autorenwitwe". Eine Stadtschreiberstelle soll angetreten werden, doch statt des erwarteten Autors erscheint seine Frau mit Hund, zieht in die bereitgestellte Wohnung und erwidert auf Fragen nach ihrem Mann, er werde bald eintreffen, was er jedoch erst zur Abschlusslesung tut. Bei diesem unerwarteten Auftauchen stirbt der Hund, während er sich auf sein Herrchen zubewegt, um es zu begrüßen. Da bisher von der Verbindung zwischen Herrchen und Hund nicht die Rede war, überrascht diese Sterbeszene in ihrer überzogenen Dramatik. Nimmt man den Hund als Symbol für die absterbende Beziehung zwischen der Autorengattin resp. -witwe und ihrem Ehemann, läuft diese Szene, mit der die ansonsten gut komponierte Erzählung beendet wird, in ein Klischee aus. Beides befriedigt nicht. Anders hingegen die Geschichte über eine Dorfschullehrerin in der Nähe Straßburgs, die nach Jahren einen Autor wiedertrifft, mit dem sie eine alte, verletzende Liebe verbindet. Sie hat einen jugendlichen Liebhaber, Clemens, was ihr ohne Chance auf Dauer erscheint, zudem trifft Clemens sich mit einer gleichaltrigen Frau. Nach einer Lesung des Autors, zu der die Lehrerin eine Einladung erhalten hatte, sucht sie diesen auf und stellt fest: "Ich habe mich entliebt, längst schon, und in den letzten Stunden endgültig." Doch eine innere Befreiung aus ihrem beengten Lebensentwurf gelingt ihr mit dieser Erkenntnis nicht.

Liebe heißt in den Erzählungen von Judith Kuckart vor allem Einsamkeit. Erfüllende Nähe, befriedigende Begegnungen bleiben aus, an ihre Stelle treten Frust, Verlassenheit, Entfremdung, überholte Träume.

Auch wenn einige wenige Erzählsequenzen nicht überzeugen können, erreichen die Geschichten durch die Zusammensetzung vieler Details eine Schärfe hinter den Worten, die Figuren werden dreidimensional.

Titelbild

Judith Kuckart: Die Autorenwitwe. Erzählungen.
DuMont Buchverlag, Köln 2003.
174 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3832160035

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