Im Banne des Instituts

Der Briefwechsel "In steter Freundschaft” zwischen Leo Löwenthal und Siegfried Kracauer dokumentiert eine Freundschaftsbeziehung

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"In steter Freundschaft" beginnt mit einem Brief vom 14. Januar 1921 von Siegfried Kracauer an den elf Jahre jüngeren Leo Löwenthal. Zunächst bleibt es bei Briefen Kracauers an Löwenthal, denn bis 1933 sind von diesem nur wenige Briefe erhalten. Hier lernen wir Kracauer als einen sehr um die Freundschaft des jungen Löwenthal bemühten Menschen kennen. Nicht nur ,umsorgt' er ihn mit Mitteilungen aus dem privaten Bereich, auch nähert er ihm sich mit inhaltlichen Ratschlägen und Überlegungen zu anstehenden Arbeiten. Löwenthal gehörte zeitweise zu einer Gruppe junger Intellektueller um den Frankfurter Rabbiner Anton Nobel (1871-1922). In dieser Gruppe diskutierte man einen revolutionären Radikalismus in Verbindung mit einem jüdischen Messianismus, der sich in Löwenthals Arbeiten jener Zeit wiederfindet. Kracauer stand diesem religiösen Impuls hingegen skeptisch gegenüber: "Scheler soll einmal zu Bloch gesagt haben, dessen Philosophie sei ein ,Amoklauf zu Gott'. Ich finde," schrieb Kracauer am 4. Dezember 1921, "dies treffende Wort gilt auch etwas für Sie." Allerdings: "Sie sind [...] ein Jüngling und hieraus wie aus ihrer ganzen Situation heraus [...] wird ihre seelische Haltung liebenswert und gedankliche Vorstellung verständlich."

Anders bei Bloch: Der ist "versteinerter Krampf", ein "der Bohème entstiegener brünstiger Schreihals, der sich als Prophet aufspielt." Wie so oft bei Kracauer verbarg sich hinter der Heftigkeit eines solchen Angriffs eine eigene Unbestimmtheit. Dass sie in diesem Fall mit seiner Haltung zur Religion zu tun hatte, zeigt ein Brief vom 1. März 1922. Nach einem Vortrag Thomas Manns schreib er: "Es war zu ertragen. Diesen repräsentativen [...] Deutschen ist allen der Kultusbegriff aufgezwungen, das Letzte vermögen sie nicht zu sagen, geschweige denn zu ahnen, da sie um das Religiöse nicht wissen."

Nach 1933 veränderten sich die Bedingungen für die Freundschaft. Mit dem Institut für Sozialforschung ging Löwenthal 1934 nach New York, Kracauer ins französische Exil. Dort begann eine Zeit existentieller Unsicherheit. Aufgrund einer komplizierten Beziehung zu Adorno, der von England aus in engem Kontakt zu Horkheimer und dem Institut stand, war Kracauers Verhältnis zum Institut belastet. Aufträge an ihn ließen sich auch durch Löwenthal nur schwer vermitteln. Wie mag es in dieser Situation auf den auf Honorar dringend angewiesenen Kracauer gewirkt haben, wenn Löwenthal statt dessen Mitteilung über pingelige Redaktionseingriffe - vor allem durch Adorno - in seine Texte gab, die es ihm schließlich unmöglich machten, einer Veröffentlichung unter seinem Namen zuzustimmen? Ebenso schwierig gestalteten sich die Einreisebemühungen nach Amerika. Vergeblich hatte man auf Unterstützung des Instituts gesetzt. "Was nun Deine Amerikapläne angeht," schrieb Löwenthal am 9. September 1938, "so können Horkheimer und Pollock Dir leider keine Affidavit zur Verfügung stellen, da sie beide in den letzen Monaten sehr viele Bürgschaften ausgestellt haben ..." Jede solcher Absagen verlängerte die Ungewissheit des Getriebenen. Erst der direkte Einsatz Löwenthals brachte schließlich die Rettung aus dem besetzten Europa.

In Amerika gelang es Kracauer - auch mit Hilfe Löwenthals - beruflich wieder Fuß zu fassen. Endlich von den als entwürdigend empfundenen materiellen Sorgen befreit, konnte er seine Fähigkeiten in flexiblen Arbeitszusammenhängen produktiv einsetzen. Anders Löwenthal, der weitaus mehr auf sichere Arbeitsverhältnisse angewiesen war. Ausgerechnet die Bindung an das Institut war schließlich durch einen Streit um Pensionsansprüche mit der Institutsleitung verloren gegangen. "Das traumatischste Ereignis meines ganzen Lebens," schrieb er am 13. Dezember 1963, "das ich wahrscheinlich nie überwinden werde und das mich buchstäblich zu irgendeiner Stunde des Tages und der Nacht quält, ist die Entfremdung von der alten Gruppe." Einmal mehr irritiert in dieser Angelegenheit die verletztende Kleinkarriertheit der Beteiligten: "Ich empfinde wenig Respekt für Teddies sogenannte Solidarität, die ihn dazu bewogen hat, sämtliche Beziehungen zu mir abzubrechen, und solche Absurditäten zeitigten wie das totale Verschweigen meines Namens und meines Werkes in Kreisen des Instituts."

Es finden sich in diesem Briefwechsel einige Hinweise auf die problematischen zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen der Institutsleitung und den Nachgeordneten. Löwenthal und Kracauer waren auch ,nur' Gefolgsleute. In diese Rangordnung hatte Löwenthal sich als Mitarbeiter des Instituts fügsam eingepasst, Kracauer aber empfand sie als kränkend. Umso mehr, da sie Ausdruck der persönlichen Entfremdung zu dem gemeinsamen Freund aus den frühen Frankfurter Jahren, zu "Teddie", Theodor W. Adorno, war. Schon in einem Brief vom 12. April 1924 hatte Kracauer sein Leiden an Adorno einmal beschrieben: "Ich war und bin traurig wegen Teddie. Weißt Du, ich glaube, daß ich eine unnatürliche Leidenschaft für diesen Menschen empfinde, die ich mir nur so erklären kann, daß ich eben geistig doch homosexuell bin." Der akute "Liebeskummer" gründete in einem typischen Kränkungsmuster: "Teddie war durch lauter Konzertbesuch und durch das Schreiben irgend eines Artikels davon abgehalten, mit mir zusammen zu sein. Nur am Donnerstag gönnte er mir eine Stunde [...], die er dazu nutzte, mir eine Kritik über Mussorgsky vorzulesen - eine Kritik, in der meine ganze Terminologie wiederkehrte, aber unerlebt, fertig, auf den Sonderfall gescheit angewandt." Stoff für Analytiker ...

Trotz solcher Einblicke hinterlässt der Briefwechsel ein Gefühl der Unzufriedenheit. Redlich dokumentiert er die im Titel von den Herausgebern benannte stete Freundschaft. Doch darüber hinaus bleiben die Zuspitzungen und Kommentare zu Personen und Zeitgeschehen - so pointiert sie auch vor allem von Kracauer formuliert werden - bestenfalls episodenhaft. Der Briefwechsel ist zu sehr belastet von dem "unnützen Zeug", das Kracauer in einem Brief einmal erwähnte: "Das war wie in alten Zeiten als wir noch über die wirklichen Dinge redeten, und nicht über Vorteile und Nachteile und Karrieren und Renomme, das vergeht wie es kommt, und all das unnütze Zeug."

Der Band ist nur unzureichend mit Anmerkungen versehen. Nicht nur stören unnötige Wiederholungen, schwerer wiegt, dass viele in den Briefen angesprochene Sachverhalte überhaupt nicht ,erläutert' werden. So würde man beispielsweise gerne wissen, auf welche Vorgänge Kracauer in einem Brief vom 15. Februar 1960 anlässlich des Wiedererscheinens seiner "Angestellten"-Buchs in der Bundesrepublik mit der Bemerkung anspielt, dass die gleichen Leute, die dreißig Jahre vorher "den Juden Kracauer" attackierten, nun "wieder einen vollen, zwei Seiten langen Angriff auf mein armes altes Buch veröffentlicht" hatten.

Titelbild

Leo Löwenthal / Siegfried Kracauer: In steter Freundschaft. Briefwechsel 1922-1966.
Herausgegeben von Erwin-Peter Janssen.
zu Klampen Verlag, Lünebürg 2003.
292 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3934920276

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