Das beste aller möglichen Veedel?
Peter Rosenthal radelt "Entlang der Venloer Straße" und erzählt dabei von einer Kindheit in Rumänien
Von Gunnar Kaiser
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Texte rumäniendeutscher Schriftsteller erfreuen sich in den letzten Jahren immer größeren Interesses, so zuletzt Richard Wagners Roman "Miss Bukarest", aber auch schon die Bücher Herta Müllers oder des heute vergessenen Kölner Autors Ingmar Brantsch. Auch Peter Rosenthal stammt aus Rumänien, er ist 1960 in Arad geboren, einer rumänischen Stadt an der Grenze zu Ungarn und Serbien, und konnte mit dreizehn Jahren nach Deutschland ausreisen. In Köln, wo er Medizin studierte, hat er sich als Arzt niedergelassen, und da er jeden Tag mit dem Fahrrad zu seiner Praxis in Ehrenfeld fährt, hat er über Jahre hinweg seine Eindrücke von der Hauptschlagader des Kölner Westens, der Venloer Straße, in tagebuchartiger Form festgehalten.
Denn um einen Briefroman, wie sich Rosenthals Buch "Entlang der Venloer Straße" im Untertitel nennt, handelt es sich eigentlich nicht, auch wenn der Erzähler vorgibt, seinem rumänischen Jugendfreund René, den es zum Thora-Studium nach Jerusalem gezogen hat, die Lebensumstände im Westen beschreiben zu wollen. Sein Schreiben gilt vielmehr einer Selbstvergewisserung, einer Bestandsaufnahme des Heute sowie einer Ordnung dessen, was zur Vergangenheit gehört. Diese Vergangenheit im kommunistischen Rumänien Ceausescus bildet den größten Teil der Aufzeichnungen, wobei sich die Erinnerungen an die Kindheit von den Beobachtungen des Ehrenfelder Arztes kontrastreich abheben. Es gelingt Rosenthal auf weiten Strecken, das Leben in Arad ausdrucksstark und bilderreich vor Augen zu führen, hier lässt er sich zu längeren Erzählungen hinreißen, die mit kraftvollen Farben gemalt sind, fast ohne sentimental zu wirken.
Mit dem Leben in Ehrenfeld scheint das Arad der Kindheit vorerst nur das bunte Gemisch an Menschen gemeinsam zu haben, das die Straßen bevölkert. Vielleicht ist es dem fehlenden zeitlichen Abstand geschuldet, der den Fluss der Erinnerung gemeinhin verlangsamt und klärt, dass der Erzähler in seinen Schilderungen der Venloer Straße immer wieder auf Allgemeinplätze zurückgreifen muss und kaum einmal das "wirkliche" Leben sprechen lässt. Dieser Teil wird beherrscht von einer manchmal etwas larmoyant vorgetragenen Klage über die Unwägbarkeiten des Arztalltags, über die Hässlichkeiten so mancher Kölner Gegend sowie über die stets gehetzten Menschen mit ihren Zivilisationskrankheiten. Überhaupt die Hetze: Die Geschwindigkeit, mit der die Venloer Straße sich täglich wandelt und erneuert, scheint hier auch den Erzähler angesteckt zu haben, so dass er dem Wahrgenommenen kaum einmal für längere Zeit nachzugehen wagt. Dies hat vor allem auf den anti-modernen, eher unliterarischen Stil des Buches Einfluss: Einkaufszentren sind "ekelhaft", ihre Hallen sind "seelenlos", ihre Hässlichkeit "abgrundtief". "Ich möchte nur weg", sagt der Erzähler an einigen Stellen, und das ist eigentlich schade, da doch nicht zuletzt im Schrecklichen der Reiz des Wunderbaren verborgen liegt.
In einigen Augenblicken aber scheint der Erzähler diesen Reiz zu verspüren: "Diese Straße ist nicht schön und wird in keinem Reiseführer besonders hervorgehoben. Sie bewahrt trotzdem einen speziellen, kaum erfassbaren Charakter, trotz oder wegen ihres scheinbar unerschöpflichen Fassungsvermögens für alles, was die Welt hervorbringt - auch für mich." Doch erwartet man Stellen, an denen dieser Reiz erzählt, spürbar gemacht wird, vergebens. Rosenthals "Venloer Straße" könnte in fast jeder anderen deutschen Stadt liegen, es würde nicht sonderlich auffallen. Auch wenn der Erzähler die Menschen hier "ein bisschen freundlicher" empfindet als anderswo. Und diese Menschen sind in Ehrenfeld häufig solche, die fern von ihrer Heimat leben, was diesen Ort zu einem Schmelztiegel verschiedenster Erinnerungen macht. Es ist wohl vor allem diese Tatsache, die ihn, den "Entwurzelten", sich hier zu Hause fühlen lässt, wie er beteuert. Trotz aller Unterschiede erinnert ihn einiges an die verlorene Heimat in Arad, nicht zuletzt die gleichen Farben der Fußballclubs. Am Schluss scheint ihm das Schreiben der fiktiven Briefe die Gewissheit zu geben, sich wiedergefunden zu haben, angekommen zu sein: "und vielleicht, wer weiß, ist hier die ,beste aller Welten'. Und wenn nicht, wen kümmert es?"
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