Assoziationswirrwarr
Slawoj Zizek über dieses und jenes
Von Kai Köhler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSlawoj Žižek weiß viel, schreibt viel und über Vieles. In seinem Buch über die Oper erfährt man beispielsweise so manches zu Antigone, Eisenstein, Jeanne d'Arc, "Lola rennt", Peter Singer, das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern, Alfred Hitchcock und Computer. Von Opern ist auch die Rede.
Genauer: von Richard Wagner. Noch genauer: von zwei Musikdramen, die zu überhistorischen Meisterwerken erklärt werden, "Tristan und Isolde" sowie "Parsifal". Was sonst auftaucht, gilt, wie Mozarts "Cosí fan tutte" oder Beethovens "Fidelio", als vorweggenommene Variation, oder es führt einzelne Aspekte der beiden Großwerke weiter, wie Richard Strauss' "Rosenkavalier", Dmitrij Schostakowitschs "Lady Macbeth von Mzensk" und, als überhaupt einziges erwähntes Werk außerhalb des Repertoires, Erwin Schulhoffs "Flammen".
"Vorwegenommene Variation": hier hat hoffentlich der aufmerksame Leser gestutzt. Was nicht von Wagner ist, liest Žižek unter dem Gesichtspunkt, wie es sich auf die Konstellationen des Meisters bezieht; vornehm versteckt sich diese Auflösung von geschichtlichem Verlauf wie auch von offener Kenntnisnahme des einzelnen Werk hinter dem Begriff einer "Hypertext-Variation". Wie das Vorwort dröhnt, geht es um die "allgemeingültige Dimension" von Kunst, um "wahre Größe", um Folgerungen daraus, dass, wie dann die Einleitung in sprachlich ungenauer Möglichkeitsform nahelegt, "'Tristan' und 'Parsifal' einfach wirklich (aus bestimmter Sicht zumindest) die beiden einzigen 'größten', absoluten Kunstwerke in der Menschheitsgeschichte wären".
Man muss kein Wagnerfeind sein, um diesen Anspruch als vermessen zurückzuweisen. Wagners Musikdramen sind, unter dem Gesichtspunkt der Gattung, zeitbedingte Lösungsversuche des Problems, wie ein musikalisches Drama auf der Bühne möglich ist; ideologisch stellen sie den Versuch des modernen Bürgertums dar, sich einen überzeitlichen Mythos zu konstruieren. Darin konsequent, scheitert Wagner auf höherem Niveau als die meisten seiner überwiegend auch musikalisch schwächeren Nachahmer; deshalb taugt sein Werk dazu, die Ambivalenzen noch des gegenwärtigen Kapitalismus musikdramatisch zu inszenieren. Nach einem lumpigen guten Jahrhundert von "allgemeingültig" zu schreiben, verfehlt dagegen den Sachverhalt. In Wagners Scheitern liegt ein Nichtabgegoltenes, das im Heute noch sein Erfolg ist. Nebenbei: Auch die Konzeptionen Mozarts wie Beethovens, Strauss' wie Schostakowitschs wie auch Schulhoffs sollten als Arbeit am jeweiligen Stand der Gattung wie am Stand der Geschichte zu hören sein; und auch, als Bühnenkunst: zu sehen. Ihre Werke zu Vorläufern oder Nachzüglern zu reduzieren, verstellt die spezifische Wahrnehmung, um die es doch beim Umgang mit Kunst geht.
In der so reduzierten Operngeschichte fehlt vieles, fast alles. Was zwischen Monteverdi und Mozart geschah, verschwindet wie die siebzig Jahre nach Schostakowitschs "Lady Macbeth". An Nicht-Deutschen werden nur Schostakowitsch und Schulhoff auf wenigen Seiten abgehandelt, Puccinis "Turandot" wird eher nebenbei erledigt, ein paar Absätze zu Janáceks "Sache Makropoulos" und Seitenbemerkungen über drei oder vier Verdi-Opern, wo es sich eben ergibt: Sonst ist die Oper eine deutsche Kunst und im Verlauf von wenig über hundert Jahren entstanden. Žižek reduziert noch mehr als die wenig wagemutigen Spielpläne gegenwärtiger Bühnen.
Auch von dem, was es denn bei ihm gibt, bleibt wenig genug übrig. Wo, wie der Titel behauptet, ein "zweiter Tod" der Oper eingetreten sei, muss es einen ersten geben. Wann? Nun: "von ihrem Beginn her" sei die Oper "ein totgeborenes Kind der Kunst der Musik" gewesen, habe sich "immer in parasitärer Weise auf andere Künste verlassen (auf 'reine' Musik, auf Theater)". Statt die augenscheinliche Vitalität der Gattung über Jahrhunderte hinweg eben dadurch zu begründen, dass das Neben-, Mit- oder Gegeneinander der Künste auf das Publikum eben eine größere Attraktivität ausgeübt habe und ausübt als die "reine" Instrumentalmusik, bejaht Žižek den Tod der Oper von Beginn an und setzt in einem Trotzdem seine Liebe zur Gattung dagegen.
Zum Problem wird das, weil Žižek die Aspekte von Musik und Theater, statt sie als produktiv anzunehmen, als doch Peinliches ausgeblendet. Er liest zwar Wagners Texte, was heute einen gewissen Wert hat - dem musikalischen Wagnerianer sind sie mittlerweile deutlicher Missgriffe wegen vielfach unangenehm, und er will darum nicht wissen, welche Bedeutung das Wort im Musikdrama hat - der Verlust aber wiegt mehr. Man kann mit Wagners Genrebezeichnung gegen Žižek argumentieren. Den "Parsifal" bezeichnet Wagner als "Bühnenweihfestspiel". Kommen in Žižeks Interpretation zwar die Momente von Weihe und Fest in lesenswerten Erwägungen über das Ritual zu ihrem Recht, so ist von "Bühne" und "Spiel" gar nicht die Rede. Das Theatralische wie das Theaterpraktische spielt nirgends eine Rolle, damit aber geht das Element der schwerfälligen Materie verloren: der Bühnentradition, der Spielkonventionen, des enormen technischen Opernapparats, das nicht erst der Wirkung, sondern bereits der Komposition der bedeutenden Werke eingeschrieben ist.
"Tristan und Isolde" ist, glaubt man Wagners Untertitel, eine "Handlung". Das heißt allerdings mehr als dass zur Handlung auch noch Musik gespielt wird oder man zur schönen Musik eine heute leider etwas befremdliche amour fou zur Kenntnis nehmen müsse: Handlung und Musik sollen sich zur unauflöslichen Einheit, zum mit modernen Mitteln produzierten Mythos durchdringen. Man muss auch das nicht glauben, sondern kann den Bruchstellen nachspüren, an denen der Mythos scheitert und damit das Moderne zutage tritt. Sich um die Musik aber zu drücken, wie - abgesehen von wenigen allgemeinsten Bemerkungen - Žižek, reduziert das Werk und jede Oper, jedes Musikdrama um eine entscheidende Dimension. Dies Problem betrifft das ganze Buch. Wo es um Musik geht, bezieht sich der Philosoph Žižek, selten, nicht immer geschickt und dann meist folgenlos, auf die musikwissenschaftliche Forschung. Wo er eine solche nicht findet, nämlich bei Schulhoff, rettet er sich zu der Information, Schulhoff sei Schönberg-Anhänger gewesen und fügt dann Zitate über Schönbergs musikalischen Stil an; wer jemals Schulhoff gehört hat, weiß freilich, dass die Verehrung für Schönberg nicht zu einer Kopie, sondern zu einem völlig anderen klanglichen Ergebnis geführt hat.
Das sei nicht allein deshalb angeführt, weil der zu Unrecht fast vergessene Schulhoff eine genauere Würdigung verdient hätte; das Detail kennzeichnet das durchgehend undisziplinierte Denken Žižeks. Zeitabfolgen sind beliebig (Schulhoffs "Flammen" von 1927/28 sollen "der Übergang zu radikalen atonalen Expressionismus sein", während das Werk Schönbergs, auf das sich Žižek gleich darauf zur Illustration des Stils bezieht, von 1908 ist), Überlegungen zu Werken brechen ab, sobald ein paar interessant klingende Thesen aufgestellt sind und es gälte, den Gedankengang fortzuführen. Eine längere Passage zum "weiblichen Exzeß" ist als "Zwischenspiel" bezeichnet, ein paar Absätze sind klein und eingerückt gedruckt, was wohl einen Exkurs kennzeichnet; ein wesentlicher Unterschied zum Rest ist indessen nicht festzustellen. Wo es an konsistenten Begründungen mangelt, tritt, jedenfalls in der deutschen Übersetzung, mehr als einmal ein autoritatives "natürlich" ein. Auch wird mehrfach mit Suggestionen, was man als gebildeter Mensch kenne (und die Mehrzahl wohl nicht kennt), der Leser kleingehalten.
"Seiner ungeheuren Produktivität und ,Allgegenwart' wegen" bezeichne man Žižek "auch gern scherzhaft als ,global operierenden Philosophie-Entertainer'", behauptet der Klappentext, für den der so Beworbene gleichwohl etwas kann. Zwar werden seine Qualitäten als Entertainer über weite Strecken des Opernbuchs durch anstrengende Lacan-Bezüge beschränkt, die zur Sache nicht unbedingt beitragen. Doch Produktivität und Allgegenwart haben ihren Preis: den Verlust der gedanklichen Arbeit. Wer die Ideen eintippt, wie sie ihm grad so in den Sinn kommen, schafft leicht etliche Seiten pro Abend. Den Ideen freilich geht es schlecht dabei. Im Wirrwarr der Assoziationen nimmt man sie wahr und vergisst sie ebenso schnell. Dabei gibt es auch im vorliegenden Buch Gedanken, die eine konsequente Ausarbeitung verdienten: die aus Wagners Text gewonnene Erkenntnis, wie unterschiedlich die Vorstellungen Tristans und Isoldes von ihrer Liebe sind; die prononcierte Darstellung Parsifals als Erneuerer, nicht als Restaurator der Gralsgesellschaft; auch, wenngleich nicht völlig neu, in der Interpretation der Kundry-Figur. Weshalb Eisensteins "Die Bezin-Wiese" im Stalinismus untragbar gewesen sein soll und das Filmmaterial vernichtet wurde, wie jedes Kollektiv nicht nur über die Beachtung gemeinsamer Regeln, sondern auch durch unausgesprochene Übereinkünfte zu ihrer Übertretung funktioniert - darüber würde man gerne mehr und Durchdachteres lesen.
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