Professionalisierung der Politikwissenschaft
50 Jahre Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft
Von Samuel Salzborn
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseOhne ihren Fachverband DVPW (Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft) ist die Geschichte der bundesdeutschen Politikwissenschaft nicht zu denken, da dieser in den unterschiedlichen Phasen der Geschichte entscheidenden Anteil an der Etablierung, Konsolidierung und Professionalisierung des Faches hatte. Aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens der DVPW hat diese nun die Vorträge ihrer Jubiläumsveranstaltung gemeinsam mit einigen Fachaufsätzen und zentralen Stellungnahmen ehemaliger DVPW-Vorsitzender in einem lesenswerten und für die Geschichte des Verbandes aufschlussreichen Band zusammengetragen.
Die DVPW wurde am 10. Februar 1951 in Königstein/Ts. unter dem Namen "Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik" gegründet. Mit dieser Gründung und der Wiedereinführung der Politikwissenschaft in Deutschland war ein ambitioniertes Ziel verknüpft. Das Fach sollte kein mehr oder minder unverbindliches Studium Generale und auch keine Kombination ausgewählter Inhalte einiger anderer Disziplinen (wie etwa der Geschichts-, Rechts- oder Wirtschaftswissenschaft) darstellen, sondern "ein Fach eigener Prägung" sein, wie Eugen Kogon es formulierte, "das systematische Wissen von dem, was die Politik ausmacht, einschließlich dessen, was sie voraussetzt und was sie bewirkt." Dabei sahen die Gründer und Paten der DVPW die Politikwissenschaft vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus vor allem als Demokratiewissenschaft. Die Vorstellung einer "solide demokratischen, normativ begründeten und argumentierenden 'Wissenschaft' mit unverhohlenem volkspädagogischen Impetus" stand im Vordergrund, wie der aktuelle DVPW-Vorsitzende Jürgen W. Falter es auf den Punkt bringt.
Der Gründung des Verbandes waren langwierige Bemühungen um die Etablierung der Politikwissenschaft an den westdeutschen Universitäten im Rahmen der Demokratisierungspolitik nach dem Ende des Nationalsozialismus vorausgegangen. Am Anfang der Fach(verbands)geschichte standen in der Gründungsphase zudem vor allem Fragen der organisatorischen Verankerung und wissenschaftlichen Profilierung in der bundesdeutschen Hochschullandschaft. Aus retrospektiver Perspektive zeigt sich ein insgesamt erfolgreicher Weg der Etablierung der bundesdeutschen Politikwissenschaft, was bereits durch einen Blick auf die Statistik deutlich wird: Während in der Gründungsphase die Politikwissenschaft mit 24 Professuren (1960) noch spärlich an bundesdeutschen Universitäten vertreten war, stieg die Zahl in der Zeit des ersten fachlichen Ausbaus und der vorläufigen Konsolidierung Ende der 1960er Jahre auf 63 und im Rahmen der weiteren Ausdehnung in den 1970er Jahren auf rund 200 Professuren an. Sowohl durch die endgültige Professionalisierung des Faches während der 1980er Jahre wie durch die deutsche Einheit erhielt das Fach nochmals einen Schub: Im Jahre 1994 gab es insgesamt 325 Professuren für Politikwissenschaft (sechs Jahre später jedoch nur noch 298).
Ein entscheidender Aspekt in der Geschichte der DVPW war sicher die Ende der 1960er Jahre verbandsintern verstärkt einsetzende Polarisierung entlang der drei konkurrierenden sozialwissenschaftlichen Metatheorien - der kritisch-dialektischen, der normativ-ontologischen und der empirisch-analytischen. In dieser Zeit spitzten sich die Kontroversen zwischen den drei wissenschaftstheoretischen Grundorientierungen des Faches immer weiter zu, wobei die theoretische Ausdifferenzierung des Faches zumindest in groben Zügen heute noch von Bedeutung ist - auch wenn die quantitativen Verhältnisse sich in den letzten dreißig Jahren deutlich verschoben haben: War es Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre der kritisch-dialektische Ansatz, der gegenüber dem normativ-ontologischen einen zumindest kurzzeitigen Aufwind erlebte, so ist in der jüngeren Geschichte zweifelsohne eine stärker empirisch-analytische Orientierung des Faches festzustellen. Auch wenn die Beiträger des Bandes betonen, dass die Ursachen für die 1983 erfolgte Spaltung der DVPW und die Gründung einer Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft (DGfP) durch eine Minderheit bis heute nicht eindeutig geklärt sind, so war es sicher auch eine Folge der mit dem Bedeutungszugewinn des kritisch-dialektischen Ansatzes verbundenen Politisierung des Verbandes Anfang der 1970er Jahre und der dann später verstärkt erfolgten Hinwendung zu empirisch-analytischen Modellen, die vor allem Vertreter des normativ-ontologischen Ansatzes bewogen haben mögen, der DVPW den Rücken zu kehren.
Die Anfang der 1980er Jahre beginnende Professionalisierung und Standardisierung der Inhalte, Methoden und Studiengänge der Politikwissenschaft begreift Hans-Hermann Hartwich als "ein Ringen um das Selbstverständnis der Politikwissenschaft als modernes und anerkanntes Universitätsfach" - vor dem Hintergrund der latenten Gefahr des Auseinanderdriftens der Disziplin, etwa dadurch, dass in der Ausbildung auf die Vermittlung eines gemeinsamen Konsens' an Grundwissen, d. h. eine Kanonisierung der politikwissenschaftlichen Lehre verzichtet und nur das gelehrt würde, was persönlich interessiert. Wichtigen Anteil an der Professionalisierung der Verbandsarbeit hatte zudem die Initiierung von wissenschaftlichen Sektionen in der DVPW in den 1980er Jahren, was zu einer erheblichen Belebung und wissenschaftlichen Aktivierung der Mitgliedschaft führte. Ziel dieser Ausdifferenzierung war mit den Worten von Arno Mohr die Verbesserung der wissenschaftlichen Kommunikation in den "großen Querschnittsbereichen der Politikwissenschaft" und die "Herausbildung eines besseren fachwissenschaftlichen Profils". Die jüngste Vergangenheit des Verbandes wurde dann vor allem durch die deutsche Einheit und die "Missionstätigkeit" (Beate Kohler-Koch) der DVPW in der ehemaligen DDR - wie die planmäßige Beteiligung der DVPW am Neuaufbau der Politikwissenschaft in den neuen Bundesländern - geprägt. Überdies wurde Mitte der 1990er Jahre ein Ständiger Ausschuss für Fragen der Frauenförderung (StAFF) eingerichtet und ein Ethikkodex beschlossen.
Die erfolgreiche Etablierung und Professionalisierung der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Bedarf nach politikwissenschaftlicher Forschung und Lehre kontinuierlich wächst und somit der Ausbau des Faches keineswegs als abgeschlossen gelten kann. Neben den evidenten inhaltlichen Herausforderungen für die Politikwissenschaft in der sich globalisierenden Welt zeigt sich dies auch an der Nachfrage von Seiten der Studierenden: So stieg die Zahl der Hauptfachstudierenden der Politikwissenschaft von 316 im Jahr 1960/61 auf rund 25.000 im Jahr 2000 an. Diesen Anforderungen zu begegnen, wird zweifelsfrei eine der Zukunftsaufgaben des Verbandes sein.