Meine Emotionen sind meiner Körpergröße nicht angemessen
Ulrike Haages Hörspiel um Louise Bourgeois
Von Alexander Müller
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseLässt man die Hörspielproduktionen Ulrike Haages, die einst mit den "Rainbirds" bekannt wurde, Revue passieren, fällt eine zunehmende Reduktion der effektiv-musikalischen Mittel auf, wobei eine immer subtilere Anordnung der Texte in den Vordergrung tritt. Wichtig ist, dass diese Beobachtung nicht wertend verstanden wird, sie beschreibt allein unterschiedliche Qualitäten. In der Zusammenarbeit mit Andreas Ammer und FM Einheit krachte noch die "Apokalypse live" als fulminante Radiooper durch die Lautsprecher, dass einem Jüngstes Gericht und Dekonstruktion nur so um die Ohren flogen. Auch andere Stücke, um nur wenige zu nennen, wie "7 Dances of the Holy Ghost" oder selbst "Reise, Toter" mit Durs Grünbein, letzteres bedächtig und unaufgeregt inszeniert, waren weitaus dynamischer, durchzogen von sich stetig wiederholenden Beat-Passagen, zuweilen beinahe tanzbar mit auffälligen Anspielungen auf die Pop-Kultur.
In "ding fest machen" greift Haage nun auf Aufzeichnungen der 1911 in Paris geborenen Louise Bourgeois zurück, auf Tagebücher, Interviews, Poeme etc. Die spröde Ausdrucksweise der Künstlerin nimmt dabei den meisten Raum ein, als reines Klangmaterial kommt die Sprache hingegen seltener zum Zuge, etwa wenn sich französische Zitate und Übersetzung überlagern. Eine akustische Struktur erhält die Inszenierung durch Jazzimprovisationen, Elektronikschnipsel und andere musikalische Miniaturen. Inhaltlich werden Biographisches und die künstlerische Reflexion fokussiert. Bourgeois, die sich zunächst inspiriert zeigte von europäischen Surrealisten wie Breton und Miró, setzte sich zeitlebens mit einer scheinbar übermächtigen Vaterfigur auseinander. Dass ihre gesammelten Gespräche und Diarien, die den Zeitraum von 1923 bis 2000 umfassen, unter dem Titel "Destruction of the Father, Reconstruction of the Father" erschienen, mag dies veranschaulichen. 1938 ging Bourgeois in die USA - wo sie heute noch lebt -, um Malerei zu studieren. Berühmt, wenn sie auch die Anerkennung der Kunstszene erst spät erfuhr, wurde sie für ihre irritierend erotischen und manchmal provokativen Skulpturen, die sich aus verschiedensten Materialien wie Brot, Spucke, Marmor, Latex, Klebstoff, Gips usw. zusammensetzen. Vielleicht erinnert man sich aber auch an ihre manischen "Insomnia Drawings" auf der letzten Documenta in Kassel.
Haages eindrückliches Hörspiel, getragen von den hervorragenden und erfahrenen Sprecherinnen Monika Bleibtreu, Judith Engel, Benedicte Savoy sowie Martin Wuttke als Journalist, setzt Künstlerisches und Privates zueinander in Beziehung. Das eigene Schaffen wird von Bourgeois theoretisiert, in Frage gestellt und auf einen Kern zurückgeführt. Einzelne Werke werden hervorgehoben und beispielhaft in ihrer Wirkung und Entstehung beschrieben, wobei sich - einmal expressiv bildhaft, einmal abstrakt - Konstanten und Differenzen der spezifischen bildhauerischen Konzeption ergeben. Ausgehend von nicht zu verarbeitenden Emotionen, die sozusagen der eigenen "Körpergröße nicht angemessen" sind, "Dämonen", die es abzuschütteln gilt, beginnt die nahezu zwanghafte Arbeit an der Skulptur: "Als Bildhauerin bin ich allmächtig. Ich verwandle Zweifel in Gewissheit. Einmal fertiggestellt, hat eine Skulptur ihren Zweck erfüllt, und alle meine Ängste sind verflogen, sind für immer weg und werden nicht wiederkehren."
Diese spannungsreiche und persönliche Auseinandersetzung mit den Bedingungen und Zielen von Kunst, die einige Konzentration vom Hörer verlangt, macht Haage nachvollziehbar, ohne in allzu bekannte Schemata abzudriften. Die Montage der Texte konzentriert sich ausschnitthaft auf thematische Schwerpunkte, wobei auch die Abschweifung, der umständlich bildhafte Vergleich, der sich erst später erschließt, nie vernachlässigt wird, woraus letztendlich ein lustvoll intellektuelles Hörerlebnis entsteht.