Monolog in der Anonymität der Nacht

Benjamin Lebert bleibt sich in seinem zweiten Roman treu

Von Aliki NassoufisRSS-Newsfeed neuer Artikel von Aliki Nassoufis

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Benjamin Lebert ist zurück. Nach seinem überragenden, autobiografischen Debüt "Crazy" (1999), das von Hans-Christian Schmid mit Jungschauspieler Robert Stadlober in der Hauptrolle verfilmt wurde, legt Lebert nun seinen zweiten Roman vor. Wie Lebert selbst, sind auch seine Protagonisten erwachsener als in "Crazy": Henry und Paul, beide Anfang zwanzig, lernen sich im Nachtzug München-Berlin kennen. Während Henry in der Anonymität der Nacht detailliert von seinen Träumen, seiner verlorenen Liebe und einer gescheiterten Freundschaft erzählt, bleibt Pauls Geschichte eher im Dunkeln derselben Nacht verborgen. Seine Geschichte erzählt er nur für den Leser - und auch dann nur bruchstückhaft. "Ich bin eben kein Erzähler wie du", sagt der schweigsame Paul am Schluss zu Henry, dessen Monolog fast alle 130 Seiten des Romans beherrscht. In Prägnanz steht Pauls, in nur wenigen Worten erzählte Geschichte der von Henry jedoch in keinster Weise nach.

Lebert bleibt seinem "Crazy"-Motiv des jungen Außenseiters treu. Beide Protagonisten, Henry ebenso wie Paul, sind Einzelgänger, keine Mitglieder einer bewunderten Clique. Sie suchen verzweifelt nach Anschluss, Anerkennung und vor allem nach der ersten großen Liebe zu einer für sie unerreichbaren Frau. Das alles wird beiden verwehrt, doch wie der überraschende Schluss klar macht, gehen Henry und Paul verschiedene Wege, um ihre Enttäuschungen hinter sich zu lassen. Benjamin Lebert erzählt zwar auch hier wieder eine Coming of Age-Geschichte mit masturbierenden und noch immer pubertären jungen Männern, doch auch seine Sprache hat nichts von ihrer Eindringlichkeit, sein Thema nichts von seiner Glaubwürdigkeit verloren.

Lebert, mittlerweile selber Anfang zwanzig, schreibt spannend, rasant und mit den aus "Crazy" bekannten kurzen Sätzen, die in der Alltagssprache selbstverständlich sind. Doch während er in seinem Debüt eindeutig seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse an einem Internat wiedergab, ist die Parallele zu seinem eigenen Leben nun zwar möglich, doch nicht zwingend erforderlich. Henry, und mit einigen Abstrichen auch Paul, könnten ein Abbild Leberts sein. Wahrscheinlich aber enthalten sie nur Elemente seiner eigenen Person. Damit beweist Lebert, dass er nicht nur seine eigene Geschichte erzählen kann, sondern dass er sich mindestens genauso überzeugend in das Leben anderer versetzen kann. Damit muss man nun endgültig gespannt sein, was der junge Autor Benjamin Lebert als nächstes schreiben wird.

Titelbild

Benjamin Lebert: Der Vogel ist ein Rabe. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003.
128 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3462033360

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