Berichte aus der Finsternis

Thomas Bernhards frühe Prosa im Originalton

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine herausragende Hörbuchproduktion ist zu loben: Originalaufnahmen Thomas Bernhards, des manischen Grantlers, des Heidegger-Beschimpfers und großen, zuweilen verhassten, österreichischen Autors. Der Schriftsteller Andreas Maier, bekannt geworden durch seine von der Kritik begeistert aufgenommenen Romane "Wäldchestag" und "Klausen", der über Bernhard promovierte, hat die Textauswahl getroffen und einen sorgfältig formulierten Begleittext dem Booklet beigegeben. Dabei ist neben den bekannten Texten auch ein editorisches Kleinod zu entdecken. So wird die Erzählung "Der Hutmacher" zumindest akustisch erfahrbar, ist sie doch bislang nur im Funk publiziert worden. Am 13. August 1968 las der bis zu seinem Tod 1989 öffentlichkeitsscheue Bernhard, gerade zum Träger des Österreichischen Staatspreises für Literatur gekürt, als Studiogast im Kölner Deutschlandfunk. "Der Hutmacher" handelt vom titelgebenden, alten Protagonisten, der von seiner Verwandtschaft naturgemäß in den Suizid getrieben wird. Wenn bald Bernhards "Gesammelte Werke" in 22 Bänden erscheinen, wird man die Erzählung nachlesen können, bestimmt auch in beiden Manuskriptversionen, die im Bernhard-Archiv in Gmunden erhalten sind.

Maiers Auswahl beschränkt sich auf die frühe Prosa. Erzählungen, Miniaturen, ein Interview sowie ein Ausschnitt aus dem ersten Roman "Frost" geben Einblick in Bernhards Kunst. Abgeschlossen werden die Tondokumente von der rätselhaft düsteren Rede zur Verleihung des Büchner-Preises, den der Autor 1970 erhielt. Überraschend ist zunächst, wie wenig sich von den späteren Klischees des zornigen und skandalträchtigen Autors in den Vorträgen mitteilt - auch durch die eigene Selbststilisierung befördert -. Distanziert, weitgehend dialektfrei und präzise in der Diktion - Maier weist diesbezüglich auf die durch ein Gesangsstudium ausgebildete Stimme hin -, beinahe gleichmütig und doch musikalisch intoniert Bernhard seine Prosa. Die den Texten trotz aller Verzweiflung und Ausweglosigkeit stets inhärente Komik lässt sich deswegen erst nach mehrmaligem, konzentriertem Zuhören nachvollziehen. Vordergründig sind aber die zentralen Beweggründe dieses Klassikers wider Willen von Belang: "Vor allem interessiert mich die Finsternis", erklärt Bernhard im Gespräch mit Wolfgang Pehnt die Motivation des eigenen Schreibens. Zu dieser Finsternis gehören die ewigen Bernhardmotive, wie Maier sie aufzählt: Tod, Krankheit, Selbstmord etc. Jeder, der einmal einen Narren an dieser rhythmisch mitreißenden Prosa gefressen hat, wird wissen, wovon ich rede.

Titelbild

Thomas Bernhard: Ereignisse. 2 CD.
Der Hörverlag, München 2003.
126 min, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3899400828

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