Einer von uns

Michael Moore schießt quer

Von Sabine KlomfaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Klomfaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach dem großen Erfolg von "Stupid White Men" hat der Piper Verlag jetzt Michael Moores Buch "Downsize This! Random Threats from an Unarmed American" (Originalausgabe 1996) auf Deutsch unter dem Titel "Querschüsse" herausgebracht. Mit der einzigartigen Mischung aus beklemmenden Fakten und genialem Wortwitz schafft es Moore wie kein zweiter, ein Sachbuch über die Innenpolitik der USA in den 90er Jahren für die Leser attraktiv zu machen - und zwar weit über die USA hinaus. Moore, der seinen Collegeabschluss nach eigenen Angaben schmiss, weil er keinen Parkplatz bekam, ist ein Phänomen: In Zeiten allgemeiner Politikverdrossenheit bringt er die Menschen dazu, über Politik zu diskutieren. Als "einer von uns" formuliert er eine neue, links-liberale Stimme innerhalb der von ihm kritisierten demokratisch-republikanisch-gleich verwaschenen Politikszene der USA.

Moore greift die mächtigen Reichen und die großen Konzerne an. Hauptthema ist die sogenannte Politik der "Gesundschrumpfung": das "Downsizing". Trotz immer neuer und immer größerer Gewinne der Konzerne stehen Massenentlassungen auf der Tagesordnung. Firmenstandorte werden aufgegeben und Arbeitsplätze ins Ausland verlagert. Zudem streichen viele Konzerne zusätzliche Subventionen in Form von Steuererleichterungen oder Steuerbefreiungen ein. So bilanziert Moore: "Die Technik von Amoco, AT&T, Citicorp, DuPont, General Electric, General Motors und IBM wurde zwischen 1990 und 1994 mit 278 Millionen Dollar subventioniert, während dieselben Unternehmen insgesamt 339.038 Arbeitsplätze abbauten und allein im Jahre 1994 25,2 Milliarden Dollar Gewinn machten."

Hier zeichnet sich natürlich die Verbindung der großen Konzerne zur Politik ab. Es sind die emsigen Lobbyisten, die es immer wieder schaffen, mit "großzügigen" Geschenken Politiker dazu zu verleiten, das 'im Namen des Volkes' auf sehr spezifische Weise auszulegen und zu Gunsten ganz bestimmter Interessen Gesetze zu entwerfen oder zu kippen. Besonders hartnäckig seien in Washington die Waffen- und Autoindustrie, die Pharmakonzerne oder auch die Reklametafelindustrie, die Moore als eine der "kleinsten, aber einflussreichsten Branchen, die heute im Kongress Lobbyarbeit machen" charakterisiert.

Moores Themenspektrum ist jedoch viel breiter gefächert: So kritisiert er, dass immer noch jedes vierte Kind in Amerika unter der Armutsgrenze lebt, während "dem reichsten Prozent der US-Bevölkerung heute 40 Prozent des Gesamtvermögens" gehören. Aber auch die größtenteils in Florida im Exil lebenden "Slapstick-Kubaner" bekommen ihr Fett weg, wenn er sie "trotz ihres Terrors und Brustgetrommels in Gorillamanier nur als einen Haufen Waschlappen" bezeichnet. Moore erklärt unter anderem auch, warum man Bob Dole seinen Kugelschreiber wegnehmen sollte, was Spermien mit dem Recht auf Leben zu tun haben und wieso O. J. Simpson schuldig oder unschuldig verurteilt wurde.

Kritisch allerdings werden die deutschen Leser wohl das zehnte Kapitel aufnehmen, in dem Moore es tatsächlich wagt, von außen an der alten Schuldfrage zu kratzen: Hat die Bundesrepublik Deutschland nicht nur ordentlich gesühnt, sondern auch genug gezahlt für die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs? Moore stellt fest, dass innerhalb von drei Jahrzehnten Deutschland "eines der reichsten Länder der Welt" wurde, während die Zahlungsmoral für "Wiedergutmachungen" offensichtlich nicht besonders gut sei. Dabei spricht er von den jungen Deutschen als "progressive[n], pazifistische[n] Menschen guten Willens, die ohne eigenes Verdienst einfach ein gutes Leben führen", um dann auf die große Zahl "alter" Deutscher zu verweisen, die sich offensichtlich in Florida einen guten Lebensabend zu machen suchen, was Moore als Ungerechtigkeit gegenüber den Überlebenden des Holocaust erachtet, die sich ebenfalls zu Tausenden in dieser Ecke der USA niedergelassen haben.

Eigentlich hält Moore aber sowieso nicht viel von Florida: "Einer der Seelen in meiner Brust gefällt es, dass all diese Ex-Nazis nach Florida ziehen und die Bewohner terrorisieren. Geschieht ihnen recht. Rechtsextreme Kubaner gegen Greise von der SS in einem Kampf auf Leben und Tod." Und dann geht Moore noch einen Schritt weiter und klar über eine Grenze von politischer Korrektheit, wenn er meint, dass die Morde an deutschen Touristen in Florida vielleicht auch als letzter Vergeltungsschlag verstanden werden könnten: "Jemand mit Gerechtigkeitsgefühl hat die älteren Bürger von Miami Beach bewaffnet und sie Richtung Fort Myers geschickt, wo sie die alten Rechnungen begleichen sollen. Wer hätte je gedacht, dass die Deutschen es den Rächern so einfach machen würden und so dumm wären, in eine Gegend zu ziehen, wo mit Ausnahme von New York die meisten Juden leben?"

Die Reaktionen auf dieses Kapitel werden zeigen, ob "die Deutschen" über sich selbst lachen und auch mal Kritik einstecken können. Es würde darum gehen, den Kern der Kritik auszumachen und einzusehen, dass Humor übertreiben, zuspitzen, karikieren darf und manchmal sogar muss, um die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Problem zu lenken.

Es fällt schwer, trotz all der Ungerechtigkeiten, die Moore thematisiert, nicht zu resignieren. Doch der Autor hält dagegen: "Kandidiere für ein Amt. Ja genau, du. Wir müssen in die Politik gehen und die Versager in der Regierung ablösen. Das ist gar nicht so schwer. Sammle ein paar Unterschriften, damit du nominiert wirst, überleg dir ein paar Argumente, klingle an jeder Haustür und weigere dich, Spenden über 100 Dollar anzunehmen. [...] Wir haben immer noch die Macht, ihnen zu sagen, wo es langgeht. Besser, wir nützen diese politische Macht, bevor es zu spät ist." So ist es diese Botschaft, die den Politikern der reichen Staaten, den USA ebenso wie Deutschland, und den Global Players der Weltgeschichte immer wieder vorzuhalten - und vorzuleben! - ist: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.

Titelbild

Michael Moore: Querschüsse.
Übersetzt aus dem Englischen von Helmut Dierlamm und Heike Schlatterer.
Piper Verlag, München 2003.
314 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3492045642

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