"Man isst hier sehr gut!"

Über das lange unterschätzte Phänomen der Kulinarik im dramatischen Werk Vicco von Bülows, der am 12. 11. seinen 80. Geburtstag feiert

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Die dramatischen Fernseharbeiten von Loriot erfreuen den Betrachter auch noch in der Wiederholung der Wiederholung. Das kann man leider nicht von allen älteren TV-Sketchen behaupten, die bevorzugt in Form von abstoßenden Pseudohumorpotpourris mit bezeichnend militaristischen Titeln wie "Lachsalven und Juxraketen" in trauriger Regelmäßigkeit die dritten Programme durchgeistern und das Stereotyp der humorlosen Nation zementieren. Was Loriots Humorwerk von den Plattitüden von "Harald und Eddie", der Pointenabsenz von "Sketch Up" oder der nervenden Frivolität von "Klimbim" scheidet und somit zeitlos macht, ist vor allem seine gnadenlose inszenatorische Akribie.

Ähnlich wie heute vielleicht die Running Gags der "Harald Schmidt-Show" oder die alle Facetten der Alltagskultur virtuos durchdeklinierenden "Simpsons", haben auch die Sketche und Filme Vicco von Bülows einen großen komischen Zitatenschatz geschaffen, der es dem Fachmann ermöglicht, in jeder Situation durch Anbringen der passenden Referenz nicht nur seine Kennerschaft unter Beweis zu stellen, sondern ein im hohen Maß anschlussfähiges Kommunikationsangebot der geselligen Runde zu unterbreiten. Ob beim Bettenkauf, im Konzertsaal, in der Badewanne oder eben beim Restaurantbesuch - oft genügt ein Satz ("Das Bild hängt schief") oder gar nur ein Ausruf ("Ach!?"), um die Anwesenden zu belustigen. Schnell wird dann über Börsenkurse gefachsimpelt ("Boom-Baisse-Hausse-Passe"), werden seltsam klingende Namen in den Raum gerufen ("Herr Müller-Lüdenscheidt" "Herr Doktor Klöbner"), um dann bei "Schnittchen mit Ei und Wurst" die letzte Flasche "64er Château Lafite" zu entkorken. Womit wir beim eigentlichen Thema wären, das die besten Miniaturdramen Loriots und deren spezifischen Witz bestimmt: die Kulinarik.

Dass in seinen Sketchen so oft gegessen wird, sei natürlich kein Zufall, betont der Mann, der scheinbar immer als "Humorist" bezeichnet werden muss, anlässlich seines 60. Geburtstages: Erstens esse auch er persönlich täglich und zweitens zeige der Mensch gerade während geselliger Mahlzeiten seine Kommunikationsschwächen am deutlichsten. In der Tat stellt die Nahrungsaufnahme für Loriots Personal immer wieder einen Anlass für gesellschaftliches Fehlverhalten dar, dient als Ausgangspunkt subtilen Slapsticks oder markiert die berühmten feinen Unterschiede.

Dabei reizt allein ein flüchtiger Blick auf eine imaginäre Loriot-Speisekarte zum Schmunzeln, noch bevor irgendeine spaßige Handlung eingesetzt hätte: Pökelzunge in Burgunder mit Klößen, Kalbshaxe Florida, Lammsattel mit Püree und natürlich Kosakenzipfel werden in zum Teil recht "übersichtlichen" Portionen feil geboten. Dass bereits die Namen der Gerichte selbst, unabhängig von ihrer dramaturgischen Bedeutung, belustigend sind, ist typisch für den einzigartigen Sprachwitz Loriots. Einmal ist die komische Wirkung lautlich bedingt (Pökelzunge mit Klößen - die Umlaute "ö" und "ü" spielen generell eine tragende Rolle in seinem Gesamtwerk), dann durch die völlig unpassende Kombination von Schwerem, Altdeutschem mit Leichtem, Exotischem (Kalbshaxe Florida) oder durch die groteske Bildhaftigkeit des Ausdrucks (Kosakenzipfel), welche durch eine im Sketch explizit werdende sexuelle Konnotation noch gesteigert wird: "Mit seinem Kosakenzipfel versteht Walter keinen Spaß!". Der Anlass, zu welchem "so eine Spezialität" wie der berüchtigte Kosakenzipfel gereicht wird, ist ein besonderer. Es gilt im fraglichen Sketch die nunmehr fünf Jahre bestehende Freundschaft zwischen dem Ehepaar Hoppenstedt und dem Ehepaar Pröhl zu feiern, eine Freundschaft, die auf dem Campingplatz in Klagenfurt ihren Ausgang genommen hat und nach Verzehr eines Zipfels jäh zerbrechen soll. Denn es gibt nur noch ein einziges "Mokka-Trüffel-Parfait mit einem Zitronencremebällchen", weshalb der großzügige Herr Hoppenstedt im Überschwang der gerade gefeierten Fraternisierung seinem Freund Pröhl den Vortritt gewährt, nachdem man beschlossen hat, brüderlich zu teilen. "Versehentlich" verschluckt jedoch Pröhl das Zitronencremebällchen und konsumiert etwas mehr als die brüderliche Hälfte des Desserts, worauf sich ein im Zerwürfnis endender und im Vergleich zu der anfänglichen Bilderbuchharmonie geradezu barbarisch wirkender Streit entzündet. Es fallen gar hässliche Worte wie "Jodelschnepfe" (denn Frau Hoppenstedt strebt das berühmte Jodeldiplom an) und "Winselstute" (denn Reiter wie Frau Pröhl "werden ja immer gebraucht"). Mit einem drögen gemischten Eis mit Sahne hätte die Episode vermutlich nur halb so gut funktioniert.

Einen Höhepunkt seines kulinarischen Schaffens stellt das Werk "Benimmsschule", auch bekannt als "Anstandsunterricht", dar, das dramaturgisch angelehnt an "Dinner for One", die Wiederholung des ritualisierten Ablaufs einer Tischgesellschaft unter aufgezwängtem Alkoholgenuss zum Thema hat - mit ähnlich destruktiven Folgen, wie beim britischen Silvester-Klassiker. Herr Blühmel (in der Namensgebung zeigt sich einmal mehr die Vorliebe für "komische" Namen) muss zum Abschluss seines Benimmkurses ein mehrgängiges Menü nach allen Regeln des guten Tons und Betragens überstehen. Der Proband wird permanent zum völlig absurden Small Talk genötigt: "Gnädige Frau, ich habe einen verwitweten Schwippschwager Ihres Namens in Elberfeld", was mit "Das ist interessant, in Elberfeld gibt es eine erstklassige Kunstgewerbeschule" gekontert wird. Verstärkt wird der humoristische Effekt dieses "Gesprächs" dadurch, dass die Partnerinnen, die übrigens keinen Alkohol trinken müssen und damit zusehends in Kontrast zu dem immer betrunkener werdenden Blühmel geraten, ihre Antworten in völlig unangemessener Schnelligkeit und Teilnahmslosigkeit zum Besten geben, ihm nahezu mechanisch ins Wort fallen. Da der Prüfer Dr. Dattelmann immer wieder etwas zu beanstanden hat, muss das Zeremoniell mehrfach wiederholt werden: "Und bitte während der Konversation das Leeren des Tellers nicht vergessen!". Herr Blühmel leidet sichtlich unter dem Leeren des Tellers, wenngleich er, die Etikette wahrend, weiterhin behaupten muss: "Wenn meine Gattin Klöße zubereitet, sind sie leicht und bekömmlich."

Der unfreiwillige Alkoholexzess im Anstandsunterricht korrespondiert mit dem Beruf, den ein etwas anders aussehender und wesentlich selbstbewusster agierender Herr Blühmel im "Vertreterbesuch" bei Frau Hoppenstedt ausübt. Er ist Vertreter für deutsche Qualitätsweine. Der teilweise grotesk anmutenden, exklusivitätsheischenden Bezeichnungspraxis der Weinindustrie entsprechend bietet er "je zwölf Flaschen Oberföhringer Vogelspinne, Bacharacher Trockenes Domtal, Klöbener Krötenpfuhl und Hupfheimer Jungferngärtchen, abgezapft und originalverkorkst von Pahlgruber & Söhne" an. Der Vertreter ist sich selbst offenbar der beste Kunde, denn bevor er der sich durch ein Jodeldiplom emanzipierenden Dame des Hauses ein Schlückchen andient, probiert er selbst großzügig sein Sortiment. Der Rest des Sketches ist bekannt, auch hier endet, unter Einfall weiterer Hausierer, alles im Suff und die übertriebene Steifheit der spießbürgerlichen Förmlichkeit löst sich in angeheiterter Anarchie auf. Dekonstruktion bei Wein, Schnittchen mit Ei und Wurst.

Nicht zu unterschätzen ist bei allen Sketchen die Qualität des Ensembles. Neben dem unglaublich wandlungsfähigen Loriot sind hier die charmant-spröde Evelyn Hamann, der bärbeißige Heinz Meier, der mysteriöse Heiner Schmidt und der äußerst zuvorkommende Egdar "Hallmackenreuter" Hoppe zu nennen. Sie alle beherrschen die "Kunst der Täuschung und haben eine starke menschliche Ausstrahlung" (Vic Dorn). Und nur mit diesem Team im Rücken war es dem Regisseur wohl möglich, zu zeigen, dass der Mensch eingeschlossen ist "in den komplizierten Mechanismus unserer Zivilisation, der bei der geringsten falschen Bewegung aus dem Gleichgewicht gerät" (Prof. Lemmer). Wenn dem Restaurantbesucher ein Stückchen Kalbshaxe Florida von der Gabel rutscht und er vor lauter Höflichkeitsimperativen am Essen gehindert wird ("Wohl zu speisen!"), wenn er sich verzweifelt abmüht, mit der gut geschnürten Rindsroulade zu Rande zu kommen oder vor der Arkansprache der Haute Cuisine kapitulieren muss (in "Ödipussi"), wenn also jenes zivilisatorische Gleichgewicht gestört ist, dann haben all diese kulinarischen Episoden - "im Rahmen der Tragödie - auch so etwas wie eine heitere Attitüde" (nochmals Prof. Lemmer). Oder so ähnlich. In diesem Sinne: Wohlsein!