Ein durch und durch patriarchalisches Unternehmen

Feministische Wissenschaftlerinnen erheben nachhaltige Einsprüche

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von Inter- und Transdisziplinarität feministischer Forschung ist zwar oft die Rede, doch nicht immer gelingt es, diesen Anspruch wirklich einzulösen. Der von Kathrin Heinz und Barbara Thiessen herausgegebene Sammelband "Feministische Forschung - Nachhaltige Einsprüche" jedoch offeriert nicht nur Beiträge aus einem außergewöhnlich breitem Spektrum wissenschaftlicher Disziplinen, wie es in ähnlich angelegten Publikation so nur selten anzutreffen ist, sondern stellt in einzelnen Beiträgen Fragen der Transdisziplinarität in den Mittelpunkt. So gilt etwa das Interesse der Biologin Kerstin Palm feministischer Naturwissenschaftsforschung "im Spannungsfeld verschiedener Wissenschaftskulturen". In ihrem kurzen Text spricht sie sich zu Recht gegen den oft synonymen Gebrauch der Begriffe trans- und interdisziplinär aus und hebt "reflexive Transdisziplinarität" von pragmatischer Interdisziplinarität ab. Dabei wirft sie interessante Schlaglichter auf zahlreiche Fragen und Probleme feministischer Naturwissenschaftsforschung und vertritt die These, dass sich durch die "besondere Position", welche die feministische Naturwissenschaftsforschung in der universitären "Disziplinenlandschaft" einnimmt, für die Gender Studies sowohl in den Natur- als auch in den Geisteswissenschaften "transdisziplinäre Reflexionspotenziale" ergeben. Auch Hannelore Schwedes wendet sich den Naturwissenschaften zu; genauer gesagt: der Physik und den schulischen Gründen für die Distanz, die Mädchen und Frauen gegenüber dem Fach hegen. Diese macht die Autorin zum einen darin aus, dass sich die Mädchen "faktisch an einen Lehrplan für Jungen anzupassen haben". Doch gelte dies für das schulische Curriculum überhaupt. Daher sei nach weiteren Gründen zu suchen. Schuld am mangelnden Interesse der Mädchen sei letztlich, dass die Naturwissenschaften ein "durch und durch patriarchalisches Unternehmen" seien, das die "Dominanz" von Männern über Frauen "stabilisiert, legalisiert und permanent produziert". Daher seien nicht so sehr die schulischen Curricula für die Einstellung der Schüler zu den naturwissenschaftlichen Fächern verantwortlich, sondern diese Wissenschaften selbst. Trotz dieses Fazits listet Schwedes am Ende ihres Beitrags zahlreiche Maßnahmen auf, mit denen das Engagement von Schülerinnen im naturwissenschaftlichen Schulunterricht gestärkt werden kann.

Auch das Interesse von Kristina Hackmann und Karin Gottschalls gilt Fragen der Erziehung. Während Hackmann Methoden und Geschlechtertheorien der Erziehungswissenschaften ergründet, vergleicht Gottschall das Erziehungs- und Bildungssystem des deutschen Sozialstaates mit demjenigen anderer europäischer Länder. Demgegenüber wenden sich Autorinnen wie Ulrike Liebert, Ursula Rust und Helga Krüger den Wirkungen politischer Interventionen zu. Liebert beleuchtet die "Geschlechterpolitik im europäischen Einigungsprojekt", Rust untersucht die rechtlichen Aspekte des Gender Mainstreamings und Krüger nimmt das "Doppelgesicht des arbeitsmarktrechtlichen Geschlechtersystems" unter die Lupe.

Andere Autorinnen wie Konstanze Plett wenden sich den "Grenzgängen und Überschreitungen" von Geschlecht zu. In ihrem Beitrag zur "rechtlichen Konstruktion des zweigeschlechtlichen Körpers" vertritt die an der Universität Bremen tätige Juristin die These, dass das Recht die Geschlechterdifferenz "nicht nur konstruiert, sondern geradezu konstituiert" und sie somit "quasi-essentiell" macht. Dennoch verneint sie "gerade aus feministischer Sicht" die Frage, ob die Kategorie "Geschlecht" im Personenstandsrecht ganz abgeschafft werden solle. Denn, so argumentiert sie, selbst bei vollständiger Beseitigung auch noch der letzten "unmittelbar geschlechtsdiskriminierenden Rechtsnormen" würden die "mittelbare[n] Diskriminierungen" nicht zwangsläufig verschwinden. Allerdings sollte neben den Kategorien "männlich" und "weiblich" eine dritte geschlechtliche Kategorie in das Personenstandsrecht aufgenommen werden. "Zwitter" oder "unbestimmt" schlägt sie vor. Intersexualität, so hofft sie, könnte so als tertium comparationis und als "Prüfstein für die Gerechtigkeit der juristischen Geschlechterordnung" fungieren.

Markot Brink begibt sich hingegen auf "literaturwissenschaftliche Erkundungen". Unterwegs verkürzt die Literaturwissenschaftlerin, die der Auffassung ist, dass die gegenwärtigen diskurstheoretischen Erörterungen des Subjekts einige "bedeutende blinde Flecken und Tabus" produzieren, den Begriff Gender allerdings auf einen Terminus zur Bezeichnung des sozialen Geschlechts und kann so, die "Tabuisierung der Rekonstruktion der geschlechtlichen Existenzweise" überhaupt erst konstatieren und sodann kritisieren. Da nun aber der Terminus Gender - auch und gerade nach diskurstheoretischer Auffassung - mehr bezeichnet als nur das soziale Geschlecht und etwa auch die empfundene und die gelebte Geschlechtlichkeit umfasst, die ihrerseits - wie der Begriff des doing gender deutlich macht - Gender mitkonstruieren, läuft Brinks Kritik ins Leere.

Titelbild

Kathrin Heinz: Feministische Forschung - Nachhaltige Einsprüche.
Herausgegeben von Barbara Thiessen.
VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage, Leverkusen 2002.
411 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3810032565

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