Wo das Herz der Dinge schlägt

Rolf Vollmann ist um die Welt gereist

Von Wilfried von BredowRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wilfried von Bredow

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wo ist der Zentralpunkt der Welt? Da, wo man lebt, wo denn sonst, denkt man erst einmal. Später bekommt man heraus, dass alle anderen Menschen, überall auf der Welt, von sich dasselbe glauben. Mit diesem Schock muss man erst einmal fertig werden, was nicht ohne Nachdenklichkeit geht. Bei manchen, bei den Reise-Typen, wird daraus eine große Neugier auf die Welt der anderen. Denn wenn es lauter Zentralpunkte auf der Welt gibt, dann ist es doch verlockend, möglichst viele und besonders die am fernsten liegenden kennenzulernen. Man nennt diese Neugier auch Fernweh. Können sie ihrer Abenteuerlust und der Verlockung, in die Welt zu ziehen, nicht mehr widerstehen, brechen die Reise-Typen eines Tages auf, um sich ihren Traum zu erfüllen. Vorausgesetzt, sie haben Zeit und genügend Geld - aber Zeit ist wichtiger. Mit Urlaub haben solche Abenteuer übrigens gar nichts zu tun, auch mit Abenteuer-Urlaub nicht.

Je größer das Weh, desto ferner die Reisewünsche. Früher waren die Reisen in die Ferne oft noch Expeditionen ins Unbekannte, durchaus gefährliche Abenteuer. Selbst im 19. Jahrhundert gab es noch Flecken auf der Erde, die von Europa aus gesehen unentdeckt oder zumindest nicht erschöpfend erforscht waren. Charles Darwin, der mit seinen Vorstellungen zur Entwicklung des Lebens als dauernde Anpassung an äußere Lebensbedingungen weltberühmt geworden ist, nahm selbst noch an einer solchen Expedition teil.

Weil Rolf Vollmann 1978 ein Buch über Darwin plante und seine Reisekasse gerade gefüllt war, hat er sich seinen Reisetraum erfüllt und ist mit wenig Gepäck für drei Monate den Spuren der Expedition Darwins gefolgt. Und wie jener und viele andere Weltreisende aus den gefährlichen Tagen des Reisens und wie die Reiseschriftsteller, als es schon etwas komfortabler geworden war zu reisen, hat Rolf Vollmann einen ausführlichen Reisebericht veröffentlicht.

Der unterscheidet allerdings sich von den anderen in einem wichtigen Punkt - Vollmann hat ihn, in Form von Briefen, für seine Kinder geschrieben. Und weil die nicht so sehr an den Spuren Darwins interessiert waren, vielmehr wissen wollten, wie es auf der Insel Mauritius, auf Feuerland oder Tahiti aussieht und was für Menschen dort leben, hat Rolf Vollmann seine Ausflüge zu abgelegenen Inseln beschrieben, und Landschaften, die betörend schön, aber manchmal auch öde sind, sowie nicht zuletzt seine Unterhaltungen mit Leuten, die er unterwegs getroffen hat und von denen einige ganz reizend, andere aber auch etwas nervig waren.

Eines ist heute ja anders als früher: Wir haben meistens schon alle möglichen Bilder von exotischen Landschaften und den dort lebenden Menschen im Fernsehen oder in Illustrierten gesehen. Wenn jemand darüber etwas erzählen will, dann bedarf es einer besonderen Kunst, um unseren "Das kennen wir doch schon!"-Impuls zu überwinden. Vollmann gelingt das meisterhaft. Sein Trick besteht darin, sich ganz auf alles Neue, auf die Menschen vor allem, einzulassen - und doch zugleich einen kleinen inneren Abstand zu waren, um besser beschreiben zu können, was an diesem Neuen ganz oder ein bißchen anders ist als zu Hause - Reisen als Welt-Zentralpunkte-Vergleich.

Der Vollmann des Jahres 1978 hat sein Reise-Ich in die Rolle des charmanten, zuweilen etwas krakeeligen deutschen Schriftstellers gepackt; und damit öffneten sich ihm manche Türen, die, sagen wir: gewöhnlichen Touristen und Urlaubern verschlossen geblieben wären.

Beim Wiederlesen, zuerst sind die Briefe vor über zwanzig Jahren erschienen, stellt sich heraus, dass sich kein Fitzelchen von der Frische des Buches verloren hat. Es ist mit fast unverändertem Text, einem prächtigen Umschlagbild und darauf abgestimmten Titelvignetten von Wolf Erlbruch neu aufgelegt worden. Die weggelassenen Abschnitte hätte man übrigens ruhig mit abdrucken sollen, denn sie enthalten ein paar geradezu weise politische Bemerkungen; die sind ja Mangelware, in Büchern für Kinder wie anderswo.

Ganz am Schluss gibt uns Vollmann einen kleinen Einblick in seine Reise-Erlebnis-Methode. Ja, schreibt er da, ich habe all die Dinge, die hier beschrieben sind, von ganz nah gesehen - "aber das Herz der Dinge schlägt in den Sätzen, in denen man sie beschreibt".

Titelbild

Rolf Vollmann: Reise um die Welt. Briefe an die Kinder daheim.
Carl Hanser Verlag, München 2001.
203 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3446201246

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