Eine Reise in die Vergeblichkeit

"Das Handwerk des Tötens" von Norbert Gstrein

Von Katalin SzabóRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katalin Szabó

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was verändert der Tod in uns? Der eigene, der fremder oder bekannter Menschen? Das Sterben vor eigenen Augen und das, irgendwo in einem fremden Land, von dem uns die Medien berichten? Dies tun Medien inflationär und doch immer wieder mit blutiger Aktualität. Wie ist es für die Menschen, die nah an dieser Realität arbeiten, für Journalisten, die alltäglich mit dem Tod konfrontiert werden? Diese Fragen liegen Norbert Gstreins Roman "Das Handwerk des Tötens" zugrunde. Anknüpfungspunkt des Romans ist der Tod eines fiktiven Kriegsberichterstatters namens Christian Allmayer, der in den Kriegswirren Jugoslawiens umkommt. Dies erfährt der anonyme Ich-Erzähler von seinem Freund Paul. Auch sie beide sind Journalisten. Paul beschäftigt der Tod Allmayers, da er mit ihm befreundet war. Die Lesenden erfahren die Geschichte so meist durch Gespräche des Erzählers mit anderen, der diese kommentiert. Die erzählte Geschichte wird damit doppelt gebrochen. Die vermeintliche Realität wird mindestens durch eine Figur gefiltert wiedergegeben.

Das Buch lädt ein, über die Rolle des Journalismus im Krieg zu diskutieren. Zumal der Autor sich auf den tatsächlich geschehenen, gewaltsamen Tod des Sternreporters Gabriel Grüner in Jugoslawien im Jahre 1999 bezieht. Doch scheinbar vordergründig wird das Augenmerk der Lesenden auf einen weiteren Aspekt des Romans gelenkt. Norbert Gstrein gelingt es, anhand von Männerfreundschaften die Lesenden subtil in den Bann der Alltäglichkeit des Lebens zu ziehen, das am Bewusstsein des Endes zerbrechen kann. Treffend sagt Allmayers Frau über ihn, er habe "manchmal einen kannibalischen Hunger nach dem Leben gehabt."

Paul nimmt den Tod Allmayers zum Anlass, über seinen Freund zu recherchieren; sogar einen Roman möchte er über ihn schreiben. Bei der Recherche soll ihm seine kroatische Freundin Helena helfen. Diese Konstellation führt zu Reibereien sowohl in der Beziehung als auch in der Freundschaft zum Erzähler. Paul steigert sich immer mehr in die Recherchen hinein, findet in ihnen keinen Anfang (für den Roman) und kein Ende. Er übersteigert das Schicksal des ehemaligen Freundes immer weiter, um sich ihm näher zu bringen. Paul zitiert Helena einmal: "Sie hat immer gesagt, ich wäre nicht imstande, etwas wahrzunehmen, solange ich es nicht geschrieben vor mir habe."

Erzählt wird die mühsame, für Pauls Vorhaben vergebliche Recherche nach Allmayers Schicksal über einen Zeitraum von fast zwei Jahren. Der Erzähler betrachtet Pauls Projekt von Beginn an skeptisch. Und je weiter sich Paul auf das Leben Allmayers stürzt, desto weniger hält er dessen Schilderungen und Interpretationen über den Kriegsberichterstatter für glaubhaft. Der Erzähler zeichnet Paul mit einer Mischung aus Spott und Mitleid, Misstrauen und Verachtung. Das Verhalten Allmayers in Jugoslawien beispielsweise deutet Paul als waghalsig und mutig, der Erzähler hingegen versucht ihn als verroht und feige zu entlarven. Trotz all seiner Skepsis begleitet der Erzähler Paul immer weiter in die Verstrickung Geschichte, bis er ihm sogar auf eine Reise an die Schauplätze des geplanten Romans, also in Allmayers Leben, folgt.

An der Figur der Helena keimt ein weiterer Zwiespalt zwischen den Figuren sowie zwischen den Lesenden und der Geschichte auf. Helena, die von Paul zwar geliebt wird, aber wegen ihrer Herkunft auch unter seinem Verdacht steht, Kriegsgewinnlerin zu sein. Paul rückt sie in die Nähe derer, die für Allmayers Tod verantwortlich sind. Er nennt sie "mein Todesengel". Im Laufe der Erzählung offenbart sich ein leidenschaftliches Interesse des Erzählers an Helena. Die Beweggründe der Distanz des Erzählers zu Paul werden uneindeutiger, die Brechung der Perspektive noch einmal verstärkt. Nimmt der Erzähler aus Freundschaft an Pauls Leben teil oder kann er sich Helenas wegen nicht vom 'Freund' lösen?

Das Pathos dieser Männerfreundschaft wird verabsolutiert, aber auch ironisch gebrochen durch eine Unterhaltung der beiden Männer über Karl Mays Winnetou, der in Jugoslawien verfilmt wurde. Sie zitieren: "Mein Bruder, Winnetous Seele muss gehen. Winnetou ist bereit." Durch diese immer ambivalenter werdende Männerfreundschaft, die zu zerbrechen droht, werden die Lesenden in eine ständige Interpretationsnot manövriert. Was darf man dem Erzähler glauben? Was entspringt nur seiner Parteinahme? Wer ist Allmayer wirklich, wer Paul? Wie weit geht man für den Beruf, wie weit für eine Frau? Was löst der Tod auf der Ebene der persönlichen Beziehungen aus? Hier soll nicht der Ausgang des Romans verraten werden. Nur soviel: es ist nicht nur ein Roman über Wahrheit, sondern auch über Loyalität. Loyalität zwischen Menschen vor und nach dem Tod, zur Geschichte, eingeschlossen der eigenen.

Vielleicht ist die Handlung des Romans anfangs zäh und langatmig, doch ist diese Schwäche des Buches geringfügig verglichen mit dem, was Norbert Gstrein zu erzählen hat. Die Vielschichtigkeit des Erzählten überzeugt und begleitet auch nach der Lektüre.

Titelbild

Norbert Gstrein: Das Handwerk des Tötens. Roman.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2003.
381 Seiten,
ISBN-10: 3518414593

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