Schufte, Schurken und Lumpen

Alexander Ikonnikows Roman "Liska und ihre Männer"

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist so banal wie international: Irgendwann gibt es das erste Mal, dann das zweite, dritte, vierte, x-te, und so um die Hälfte des Lebens spätestens stellen sich Kaufmannsgedanken ein, die Liebesbilanz wird gezogen: Wieviele waren es, und was bleibt von den Techtelmechteln, Romanzen, Affären, Beziehungen, Ehen?

Jelisaweta Ogurzow, 1970 geboren und von den meisten Liska genannt, kann nach acht Jahren Liebes- und Prinzensuche auf den groben Heizer Pascha, der ihr den Sex für lange Zeit verleidete, zurückschauen, dann auf den Spieler, Witwentröster und Liebeskünstler Semjon alias Mischa, auf Viktor, den wendig-erfolgreichen, aber immerhin reichen Komsomolkomitee-Sekretär, auf den tatarischen Busfahrer Artur, den psychisch derangierten Kriegsversehrten Max und schließlich auf den Dichter Kostja, mit dem sie am Ende des Buches von Alexander Ikonnikow "Liska und ihre Männer" zusammenlebt. Eigentlich gehört noch Vera in die Reihe, mit der sie einen One-night-stand hatte.

Mit 24 hat sie knapp vier Jahre Ehe hinter sich, eine Stippvisite im Gefängnis und eine Karriere von der Krankenpflegeschülerin zur Hausmeisterin, Stenotypistin, Trolleybus-Fahrerin und Fahrschul-Lehrerin. In der Sowjetunion begann eben das Erwachsenenleben der Frauen, auch in der Phase der Perestrojka, viel früher. Darin unterscheidet sich Liska nicht von ihren Geschlechtsgenossinen, allerdings gelingt es ihr, wenn man dem Urteil des Dichters Kostja glauben darf, "ihre Jugend und ihre Unverdorbenheit [...] trotz aller Wechselfälle des Lebens" zu bewahren.

Mit der Glaubwürdigkeit ist man an einem Punkt, der zur Kritik am Romancier Ikonnikow einlädt. Sein Debüt "Taiga Blues" bestand aus heterogenen, oft grotesk-komischen Provinz-Geschichten, voll Seele, Komik und Kraft. In seinem ersten Roman spiegelt sich vieles davon wider, etwas zuviel aber das Episodische in einer ganzen Reihe von Geschichten, die vor Liskas Geburt spielen oder von ihren Männern erzählt werden. Problematischer ist es, wenn Mischas / Semjons ergreifendes Schicksal beschrieben wird, weil hier der Leser wie Liska getäuscht wird, obwohl es der Erzähler besser weiß. Der Verfahrensfehler gleicht dem von Hitchcock in "Zeugin der Anklage", in dem in einer Rückblende die Lügenfassung zu sehen ist, nicht die Wahrheit. Plötzlich direkt geschilderte Wahnvorstellungen von Max stören unvermutet das Erzählverhalten, bleibt der Erzähler doch sonst fast immer bei Liskas Perspektive. Im letzten Kapitel schließlich erscheint in hartem Bruch der Ich-Erzähler Kostja, der zufällig nach einem versoffenen Dichtertreffen auf Liska trifft. Im Epilog wird seine Perspektive noch in ihrer Unmittelbarkeit durch das Präsens verstärkt. Diese unklaren Wechsel sind funktionslos und damit störend.

Übersetzungsprobleme beeinträchtigen zusätzlich das Lesevergnügen, wenn "Tonband" und "Kassette" vermischt, falsche oder falsch verwendete Wörter wie "verzanken", "Leichtflugzeug" oder "Massenpogrome" auftauchen und immer wieder ein altmodischer Fünfziger-Jahre-Ton hineinspielt. Leider schreibt Ikonnikow auch adjektivseliger als im Erstling, manchmal kitschig, zuweilen arg konventionell in Sprache und Handlung.

Gleichwohl stellt sich mehr Wohl- als Missgefallen bei der Lektüre ein, das natürlich von der besonders eindrücklichen Heldin herrührt. Liska besitzt offensichtlich eine innere Polsterung, die - zusammen mit der Hilfe patenter Freundinnen - ihre Seele die überaus heftigen Stöße des Lebens praktisch schadlos überstehen lässt. Ihre naive Tumbheit, man könnte sie auch träumerische Vertrauensseligkeit nennen, weicht im Laufe der Zeit ein wenig, und sie erkennt immerhin eine Wahrheit über Männer: "Ihr seid alle selbstzufriedene, eingebildete Schufte, Schurken und Lumpen!" Das hindert sie nicht, den Dichter, den sie so beschimpft, zu heiraten.

Perlen im Roman versöhnen schließlich vollends: die grandiose russische Hochzeit zwischen Artur und Liska mit ihren alten, teils uralten Ritualen, die lustvoll zelebriert werden, ein Dialog zwischen Liskas Mutter und ihr, der in acht Zeilen und drei Fragen durch vier Jahre springt, endlich eine Fülle von Situationen und Orten, so unbeschönigt beschrieben und in so variantenreichem Ton, dass man technische Mängel darüber vergisst.

Titelbild

Alexander Ikonnikow: Liska und ihre Männer. Roman.
Übersetzt aus dem Russischen von Annelore Nitschke.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003.
189 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 349803216X

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