"Heiliger Holocaust"

Stefan Krankenhagen untersucht primäre und sekundäre Darstellungen von Auschwitz

Von Axel SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Axel Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Heute von Juden zu erzählen, heißt für einen jüdischen Autor [...] immer auch vom Holocaust zu erzählen, und das bestimmt nicht bloß deshalb, weil der mißglückte Versuch der Nazis, die europäische Judenheit zu vernichten, mindestens so viele Menschenleben gekostet hat wie er dramatische Begebenheiten und unglaubliche Abenteuer hervorbrachte - und somit also ungezählte literarische Vorlagen, deren dramaturgische Kraft darin liegt, daß in ihnen die Bösen immer als besonders böse auftreten, die Guten als besonders gut, und wenn aber nicht, die Konflikte, von denen es zu berichten gibt, erst recht spannend und bestürzend sind." Worauf der leidenschaftliche Kosmopolit Maxim Biller in seinem Essay "Geschichte schreiben" (in "Deutschbuch", München 2001) mit feiner Polemik hinweist, dürfte mittlerweile einer gesicherten Erkenntnis weichen: In gegenwärtigen Debatten dienen Darstellungen von Auschwitz immer seltener als Auslöser einer aufklärenden Beschäftigung mit der Shoah. Nicht selten verursachen sie Unbehagen ihrer Quantität und Unsicherheit ihrer moralischen Integrität wegen. Vielfach ist gar ein Überdruss angesichts vermeintlich immer wiederkehrender Argumente und Polemiken spürbar, etwa wenn Biller von dem Fetisch-Charakter der Shoah spricht: "Das Holocaust-Trauma als Mutter eines endlich gefundenen deutschen Nationalbewusstseins? Was sonst! Was sonst als diese unglaubliche, unerhörte Tat - sowie ein noch nie dagewesener Weltkrieg - schenkte diesem seit Jahrhunderten geographisch, geistig und mental uneinigen, unfertigen Volk von einem Tag auf den andern den großen nationalen Topos, den Schlüsselbegriff, der alle, egal ob Linke oder Rechte, Bayern oder Friesen, Aufklärer oder Romantiker, mit einer solchen Wucht und Gewalt zusammenband wie kein Goethestück, kein Hambacher Fest, keine Bismarckverordnung vorher. Und darum also lieben die Deutschen den Holocaust so - vor allem die, die immer wieder sagen, daß sie von ihm nichts mehr hören wollen." "Genervt" von den "endlosen Bewältigungsarien" der Deutschen, davon, dass kein öffentliches Gespräch ohne Auschwitz möglich scheint, genervt vor allem davon, dass diese Auseinandersetzungen zu keinem benennbaren Ergebnis führen, sich nur im Kreis zu drehen scheinen, will Biller, wie er weiter versichert, "trotzdem darüber reden".

Die Gleichzeitigkeit, mit der Biller auf der einen Seite seine Sättigung hinsichtlich des "Heiligen Holocaust" formuliert, den vielfältigen, sich selbst fortzeugenden Kommentaren zur Gegenwart der Vergangenheit von Auschwitz eine weitere Fußnote hinzuzufügen, und auf der anderen Seite seine Bereitschaft anzeigt, dieses letztlich doch zu tun, ist symptomatisch für die gegenwärtige Diskussion um die Darstellbarkeit bzw. die unterschiedlichen, sich selbst potenzierenden Darstellungsformen von Auschwitz. Die Shoah ist zu einem in unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen und Diskursen applizierbaren Zeichen geworden. dessen "Bedingung des Sekundären, der Pluralität, der künstlerischen Konstruktion und der medialen Vermittlung" (Köppen/Scherpe) auf einer wissenschaftlichen Meta-Ebene bereits ausgiebig reflektiert werden. Stefan Krankenhagen untersucht in seiner Hildesheimer Dissertation gegenwärtige und vergangene Darstellungsformen von Auschwitz im Kontext der über fünfzigjährigen Auseinandersetzung mit dem Thema, wobei den Fokus seiner Analyse nicht mehr die Frage bildet, "ob eine Darstellung möglich ist, nicht mehr wie sie geschieht [...], sondern daß eine Darstellung von Auschwitz massenhaft vorhanden ist". Die bei Biller zu beobachtende Gleichzeitigkeit von Überdruss und Kontinuität, von immer differenzierteren und gleich bleibend polemischen Argumenten leitet Krankenhagen aus der Beobachtung ab, dass "es die Quantität und Heterogenität der Darstellung von Auschwitz ist, die zum Auslöser akademischer und öffentlicher Beschäftigung mit dem Holocaust geworden ist".

Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Notwendigkeit, in Bezug auf die Rede von der Undarstellbarkeit der Shoah zwei grundsätzliche Perspektiven zu benennen: "die Perspektive einer primären Darstellung von Auschwitz und die einer sekundären Darstellung von Auschwitz". Als "primäre Darstellungsformen" von Auschwitz bezeichnet Krankenhagen Darstellungen von Überlebenden der Konzentrations- und Vernichtungslager. "Sie sind Ausdruck einer Erfahrung, die durch überlieferte Beschreibungsmuster nicht erfaßt werden konnte. Die Problematisierung der Darstellbarkeit dieser Erfahrung ist Ausdruck der Schwierigkeit, etwas zu bezeichnen, wofür keine Begriffe adäquat erscheinen." Der davon abgegrenzte Begriff der "sekundären Darstellung" ist unverzichtbar für eine Analyse gegenwärtiger Darstellungen der Shoah. "Er bezeichnet die Darstellungsformen derjenigen, die nicht in den Vernichtungslagern waren. Diese Darstellungen sind Ausdruck der Erfahrung, die das Wissen um Auschwitz ausgelöst hat." Entscheidend ist nun die Annahme, dass auf der Ebene der sekundären Darstellungen die Rede von der Undarstellbarkeit von Auschwitz immer bereits auch eine Konstruktion der Shoah ist. "Die Künstler, die auf eine Undarstellbarkeit des Holocaust rekurrieren, setzen auf Distanz schaffende, indirekte Darstellungsmuster: auf inkohärente und entpersonalisierte Erzählstrukturen, die sich der nachträglichen Sinnzuschreibung verweigern sollen. Weil die Vergangenheit der Vernichtung als nicht-darstellbar dargestellt wird, hält sich die gegenwärtige Erkenntnis in einem Zustand rezeptiver Unabgeschlossenheit. Die Rede von der Undarstellbarkeit des Holocaust behauptet, daß die kritische Auseinandersetzung mit Auschwitz nicht abzuschließen ist."

Krankenhagen beschäftigt sich ausschließlich mit sekundären Darstellungen der Shoah, indem er nicht noch einmal sich der Debatte verschreibt, ob Auschwitz darstellbar ist oder nicht, sondern indem er fragt, was es heißt, Auschwitz als ein darstellbares oder ein undarstellbares Ereignis darzustellen. Er geht davon aus, dass die heute drängenden Fragen - etwa nach einer authentischen Darstellung, nach der Instrumentalisierung der Opfer oder der grundsätzlichen Problematisierung der Darstellbarkeit - aus ihrer Entwicklungsgeschichte heraus verstanden werden müssen. Ohne diese Geschichte lückenlos und detailgenau rekonstruieren zu wollen, handelt Krankenhagens Untersuchung von ästhetischen Positionen, die unser Verständnis von Auschwitz nachhaltig geprägt haben. Ausgangspunkt der Analyse ist das so genannte 'Diktum' Theodor W. Adornos, nach Auschwitz Gedichte zu schreiben, sei barbarisch, und dessen Rezeption durch Schriftsteller der sechziger und siebziger Jahre. Als Beispiel für die anhaltende Wirksamkeit der Überlegungen Adornos wählt Krankenhagen die Theatertrilogie "Festung" von Rainald Goetz, die sich selbst als eine sekundäre Darstellung von Auschwitz reflektiert. Im Zentrum des zweiten Teils stehen ästhetische Positionen einer Darstellung von Auschwitz, deren Formensprache sich von der Problematisierung der Darstellbarkeit grundsätzlich abwenden: Steven Spielbergs Film "Schindlers Liste" (1994), das United States Memorial Museum in Washington und Daniel Jonah Goldhagens Buch "Hitlers willige Vollstrecker" (1998). Nach Krankenhagen zeichnen sich diese Darstellungen durch eine "Kombination primärer und sekundärer Darstellungsmodi" aus. "Zeitzeugenberichte, dokumentarische Informationen und tradierte Zeichen des Holocaust werden durch die Formensprache aktualisiert, die sich mit Perspektivwechseln, Charakterstudien und einem darstellerischen Spiel von Distanz und Nähe an einem Formenkanon zeitgenössischer Gewaltdarstellungen orientiert." Der abschließende dritte Teil widmet sich der Beschreibung der öffentlichen bundesdeutschen Debatten der letzten Jahre über den eigenen Umgang mit der Shoah als eine Reaktion auf die amerikanischen Darstellungsmodelle.

Krankenhagens kenntnisreiche Analysen laufen darauf hinaus, auch die massenmediale Vermittlung der Shoah übergreifend als eine Darstellungsform zu deuten: "als zeitbedingten Ausdruck dafür, daß Auschwitz vergessen wird". Sein abschließendes Plädoyer für einen Umgang mit der Shoah, "der dieses Vergessen nicht ideologisiert, sondern als eine ästhetische Anforderung an die eigene Form der Darstellung aufnimmt", lässt sich durchaus mit Billers Frage, "warum einer wie ich beim Schreiben immer wieder fast intuitiv auf den Holocaust zusteuert", vergleichen. Billers Antwort hierauf gleicht einer Reformulierung von Adornos 'Diktum' unter veränderten Vorzeichen. In seinem Essay "Geschichte schreiben" vermerkt Biller: "[E]igentlich ist es nicht der Holocaust selbst, der mich interessiert und bewegt, sondern vielmehr das, was er mit den Menschen, egal ob Täter oder Opfer, gemacht hat und weiterhin macht, vor allem aber mit ihren Nachkommen. Ja, richtig, mit ihren Nachkommen. Es kann meine Generation nämlich noch so sehr nerven und anöden, es kann uns noch so lästig sein - und doch ist es so, daß alles, was wir heute schreiben und denken und tun, daß also alles, was uns politisch und intellektuell beschäftigt, ein Echo auf die schrecklichste aller schrecklichen Zeiten ist. Unsere Mütter und Väter sind aus ihr hervorgegangen, klar, und darum sind auch wir die Kinder jener Zeit."

Titelbild

Stefan Krankenhagen: Auschwitz darstellen. Ästhetische Positionen zwischen Adorno, Spielberg und Walser.
Böhlau Verlag, Köln 2001.
284 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3412047015

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch