Gut gelesen ist halb gewonnen
Kaminers "Mein deutsches Dschungelbuch" ist live einfach besser
Von Michael Grisko
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseBekannt geworden ist er durch seine "Russendisko" im Berliner Café Burger und seine dortigen Live-Lesungen. Mittlerweile kann man den Russen Wladimir Kaminer längst nicht mehr als Shootingstar bezeichnen, sondern als Teil des literarischen Establishments. Und während er auf dem Höhepunkt seines Ruhms angekommen ist, produziert er fleißig weiter, Buch um Buch, CD um CD. Jedes Jahr ein Buch und parallel dazu die passende CD. Der Markt will es so, Hörbücher sind ein Wachstumssegment und was sich gut verkauft, muss man schnell produzieren.
Das ist gut, denn in Diktion ist das Geschriebene noch mal so gut: Auch wenn der russische Akzent von mal zu mal schwindet, bekommt es in seiner Sprache eine höhere Authentizität. Das hätte er zwar eigentlich nicht nötig, ist aber trotzdem schön.
Getreu dem Motto "Nach dem Spiel, ist vor dem Spiel", berichten die auf CD gesprochenen Szenen und Alltagsminiaturen von Kaminers Erlebnissen bei Autorenlesungen auf dem deutschen Flach- und Hochlande. Sie schließen sich an seine Erlebnisberichte aus Russland an und erzählen von Zugfahrten, Gartenzwergkongressen, Gerhart Hauptmanns Haus auf Hiddensee und vielen anderen Ereignissen am Rande der deutschen Alltagschronik. Nicht die große Politik und die wichtigen Macher, sondern skurrile Ereignisse des Alltags zwischen Flensburg und Füssen, geraten - wie auch in seinen Berliner Glossen - in das Blickfeld des stets beteiligten Autors. Sie stehen damit für die Fortsetzung einer autobiographischen Tradition, die alle seine Erzählungen, Beobachtungen und Essays durchzieht.
Nun will Kaminer zum Glück weder eine Sittengeschichte Deutschlands im 21. Jahrhundert schreiben, noch würde er sich je anmaßen, den Versuch einer Generationenbeschreibung zu unternehmen. Es sind Einzelfälle, deren Großes und Ganzes, deren Typik oder Repräsentanz man sich selbst dazudenken muss und wird. Auf jeden Fall unterhält Kaminer mit diesen, zwischen Essay, Kurzgeschichte und Glosse schwankenden Formen, denn ein leichter Spott durchzieht allemal seine Zustandsbeschreibungen der deutschen Nebenstrecken. Und Unterhaltenwerden - und hier im doppelten Sinne - ist ja manchmal schon viel wert. Leider erfüllt Kaminer jedoch lediglich sein Soll. Die Pflicht der erfüllten Erwartungen wird nicht überboten, durch eine im vielfachen Sinne überraschende Kür - das ist schade, aber vielleicht Teil des Geschäftes. Fazit: Wer ihn kennt, entdeckt nichts Neues, aber wer ihn nicht kennt, sollte ihn sich auf jeden Fall anhören.
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