Alptraum unter dem Mond

Fran Dorfs Psychothriller verdient seinen Namen

Von Sandra TurnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Turner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Er hatte immer noch das Bild der Frau vor Augen, wie sie da auf dem Gehsteig lag, schick zurechtgemacht mit ihren schwarzen Lackschuhen, dem grünen Kostüm aus Seide mit dem Plisseerock. Es hatte einen tiefen Rückenausschnitt, dieses Kostüm, und es war am einen Ärmel eingerissen und über und über mit Blut besudelt. Der Halsausschnitt, auch voller Blut, war verrutscht und entblößte die Brustwarzen. Sie war zurechtgemacht für einen Abend im St. Germain. Lag da, in all ihrer Pracht, mit ihrem diamantenbesetzten Goldarmband. Die Steine hatten im Licht der Polizeischeinwerfer gefunkelt."

Mit einem Mord beginnt Fran Dorf ihr Erstlingswerk, in dem Wahnsinn, Geistes- und Gemütskrankheiten in verschiedensten Variationen ebenso zur Sprache kommen wie Psychoanalyse, Hellseherei und Telepathie. Das 1990 unter dem amerikanischen Originaltitel "A Reasonable Madness" erschienene Buch ist spannend, unterhaltsam und dabei mit Expertise konzipiert: Es ist ein literarischer Exkurs in die Parapsychologie und ihrer Berührungspunkte mit "gängigem" psychologischen Denken. Hinzu tritt ein Psychologe, der sich in seine mordverdächtige Patientin verliebt - was den Argusaugen ihres Ehemanns nicht sehr lange entgeht.

Reich, jung und mandeläugig ist Laura Wade. Aber auch herb, traurig und auf eine merkwürdige Weise disharmonisch. Denn der Protagonistin sind außergewöhnliche sinnliche Fähigkeiten zueigen: Sie ahnt Ereignisse voraus, vermag sie mit ihren Gedanken zu beeinflussen und unterliegt schließlich der Wahnvorstellung, mit ihren innersten Gefühlen tödliche Geschehnisse nicht nur vorauszusagen, sondern sie auszulösen.

Ihr Psychologe David Goldman glaubt zunächst, einer schizophrenen, leicht depressiven Frau gegenüberzusitzen, die so tief in Minderwertigkeitskomplexe verstrickt ist, daß sie zur Polizei läuft und einen Mord gesteht, den sie nicht begangen haben kann. Paradoxerweise wartet sie allerdings mit Details auf, die Unbeteiligten nicht zugänglich sind...

Schnitt.

Fran Dorf spielt mit Perspektivwechseln, reiht die limited points of view der verschiedenen involvierten Figuren so aneinander, daß es dem Leser obliegt, die bunten Steinchen zum Mosaik zu fügen, bevor es die Figuren tun. Diese mehrperspektivische Erzähltechnik zählt auf jeden Fall zu den Stärken des Thrillers, zumal aus ihr - und den falschen Fährten, auf die Fran Dorf zuweilen lockt - Spannung erwächst. Die Handlung ist stringent konzipiert, wenngleich einige Details etwas zu künstlich arrangiert wirken. Desweiteren schwebt dem Leser wie bei jedem guten Krimi auch hier der mörderische Dämon die ganze Zeit unentdeckt vor der Nase.

Als der Kommissar, der Laura des Mordes an der jungen Frau im Plisseerock verdächtigt, sich in ihrem Atelier umschaut, glaubt er sich in einem Kabinett des Grauens. "Sie war Künstlerin, das stimmte. Da waren die Staffelei, die Pinsel, die Farben, die Skizzenblöcke, Tuben. Und überall fertige Bilder". - Nur daß Laura keine pastoralen Landschaften malt oder Stilleben mit Obst, sondern ihre Alpträume: Dämonen mit ausgestreckten Krallen, Blut und wilde Tiere, die Fleisch verschlingen. Eines - das schrecklichste von allen - zeichnet realistisch wie eine Photographie den unaufgeklärten Mord nach.

Beinahe unverhüllt tauchen auch Sexualmetaphern im Roman auf: Fran Dorf macht Gebrauch von ihrem im Psychologiestudium erworbenen Wissen. So finden sich Stichworte wie Psychoanalyse, Anna O. (Freuds berühmte Patientin) und natürlich Träume, die bei allem Grauen einer gewissen Erotik nie entbehren - was auch für das ganze Buch gilt, das den Sprung auf die Auswahlliste des Literary Guild schaffte.

Es ist die gelungene Mischung aus Wahnsinn, Erotik und Grauen, die den Leser so sehr fesselt, daß man den Thriller nicht aus der Hand legt, bevor die Erzählerin das Rätsel um die Todeshexe und ihren Dämon enthüllt - und zwar mit einem Ende, das in seiner Radikalität schlichtweg sprachlos macht.

Titelbild

Fran Dorf: Die Totdenkerin. Deutsch von Leon Mengden.
dtv Verlag, München 1999.
393 Seiten, 5,10 EUR.
ISBN-10: 3423084790

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch