Mehr als Kunstgeschichte

Das "Metzler Lexikon Kunstwissenschaft" überwindet den Zwang zur Spezialisierung

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der stattlichen Metzler-Lexikon-Reihe liegt neu das "Metzler Lexikon Kunstwissenschaft" vor. Der Begriff Kunstwissenschaft, so schreibt der Herausgeber Ulrich Pfisterer, soll dabei zunächst einer schlichten Verwechslung mit einem weiteren Lexikon zur Kunstgeschichte vorbeugen. Darüber hinaus soll der Begriff aber auch eine programmatische Absicht kennzeichnen. So sollen in ihm die Einzelbereiche der "theoretisierenden Ästhetik" und der "positivistischen Kunstgeschichte" zusammengefasst werden: "Zu einem Zeitpunkt, da sich erneut eine eher historisch und an (wenigen) traditionellen Methoden ausgerichtete ,Kunstgeschichte' und neue interdisziplinäre, von Theorie-Vielfalt bzw. der dezidierten Orientierung an aktuellen Ansätzen gekennzeichnete ,Wissenschaft der Bilder' auseinander zu bewegen scheinen, mag der Begriff ,Kunstwissenschaft' an die Interdependenz von Geschichtlichkeit und aktuellem Denken bzw. Wahrnehmen erinnern ..."

Es ist an dieser Stelle nicht der Ort, um über die Berechtigung dieses Ansatzes zu räsonnieren, doch gesteht der Rezensent, dass ihm jeder Versuch, der Enge und dem Zwang der Spezialisierung zu entkommen, sympathisch erscheint - auch, oder gerade, weil er in diesem Fall einen Idealtypus des ausgehenden 19. Jahrhunderts aufscheinen lässt, der auf der Ebene der Kunsterscheinungen immerhin ein solch grandios-vergebliches Projekt wie das "Gesamtkunstwerk" möglich machen wollte.

In diesem insgesamt übersichtlichen, interessanten und anregenden Lexikon lässt sich das Fehlen des Stichworts Gesamtkunstwerk leicht verwinden. Die Übersichtlichkeit ergibt sich aus der Anforderung, in einem Band abzuhandeln, was wichtig erscheint. Interessant und anregend - auch für den interessierten Laien - ist das Lexikon zum einen wegen der Auswahl der Lemmata, zum anderen wegen der durchweg überzeugenden Qualität der einzelnen Beiträge. Das betrifft zunächst wesentliche Grundbegriffe der Kunstgeschichte wie "Barock", "Gotik", "Klassik und Klassizismus" oder "Romantik". Dabei sind die Autoren bemüht, über die reine Begriffserläuterung hinaus auch Funktionalisierungen der Begriffe, etwa im Sinne zeithistorischer Moden oder Denkweisen aufzuzeigen. Mit solchen Anregungen zu "historischen und aktuellen Denk- und Wahrnehmungsmodi" ausgestattet, lässt sich dann übrigens bei nächster Gelegenheit auch wieder gewinnbringend in einem fachspezifischen Lexikon der Kunstgeschichte der jeweilige Begriff als Stil- oder kunstgeschichtliche Epochenbezeichnung nachlesen.

Interessant auch die Einbeziehung zunächst ,kunstfremd' anmutender Begriffe wie zum Beispiel "Aufklärung". Der Beitrag macht nach einer allgemeinen Begriffserläuterung in den Kapiteln "Kunst der Aufklärung", "Aufklärerische Kunst" und "Aufgeklärte Kunst" anregend deutlich, in welcher Weise dieser Begriff zum Maßstab kunstkritischer Kompetenz wird.

Ebenso sinnfällig sind in diesem Lexikon die "vorwissenschaftlichen" Begriffe, zu denen Begriffe wie "Lebendigkeit", "Neugierde und Staunen" oder "Erfindung und Entdeckung" zählen. Sie verweisen auf einen Aspekt der Kunstwahrnehmung vor der professionellen Einordnung und Bewertung. Für diese steht dem Fach eine Reihe fachwissenschaftlicher Termini zur Verfügung, die natürlich in diesem kunstwissenschaftlichen Lexikon nicht fehlen dürfen.

Sind auch die Beiträge in ihrem Aufbau nicht einem durchgehenden Muster verpflichtet, so orientieren sie sich doch vielfach - sinnvollerweise - an einem chronologischen Gerüst. Stichworte wie "Museum", "Kolorit", "Idolatrie", "Gott/Künstler", "Fälschung und Original" werden in ihrer sich wandelnden Bedeutung in den unterschiedlichen Zeitepochen betrachtet. Das gibt dem Leser die Möglichkeit, einer einfachen Frage wie "Gab es Museen in der Antike?" zielgerichtet nachzugehen.

Gerade über eine solch einfache Frage kann der Gebrauchswert eines Lexikons auch für den interessierten Laien überprüft werden. Im günstigsten Fall erlaubt der Lexikonartikel sodann eine zielgerichtete weitergehende Erkundung. Diesem Zweck dient das ausführliche Literaturverzeichnis am Ende eines jeden Beitrags. Zudem ermöglicht ein Personenregister das Querlesen des Lexikons für denjenigen, der die Bedeutung einer bestimmten Person für verschiedene Aspekte zu erschließen sucht.

Alles in allem: ein Lexikon, das dem interessierten Laien ebenso wie dem Experten gewinnbringend zu Diensten ist.

Titelbild

Ulrich Pfisterer (Hg.): Metzler Lexikon der Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2003.
410 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-10: 3476018806

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