Verbrechen und andere Kleinigkeiten

Eine Programm- und Produktionsgeschichte des deutschen Fernsehkrimis von Ingrid Brück et al.

Von Jörg AubergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Auberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Verbrechen ist allgegenwärtig, und alle sind kriminell, konstatierte bereits Max Horkheimer in seinen späten Jahren. Während täglich die Opfer von Unterdrückung, Massenmord und Ausbeutung - zuweilen vor laufenden Kameras - dahingerafft werden und unbeschreibliche Verstümmelungen des menschlichen Geistes stattfinden, sucht das in alle möglichen Schandtaten verstrickte Publikum Zerstreuung in der abgezirkelten kriminellen Fantasie, wie sie das Fernsehen seit mehr als einem halben Jahrhundert ins Haus liefert. Dieser Stoff motivierte ein medienwissenschaftliches Forschungsteam der Universität Halle, mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein Projekt ins Leben zu rufen, das sich zur Aufgabe stellte, "die Geschichte des Fernsehkrimis in Ost-, West- und Gesamtdeutschland im Kontext seiner jeweils systemspezifischen Rahmenbedingungen" zu erforschen. Nachdem alle Gelder verbraucht waren, kamen die vier Forscher nicht umhin, einen abschließenden Bericht zu verfassen, von dem sie meinten, er müsse auch einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden.

Herausgekommen ist ein schlampig hergestelltes Buch, in dem die Geschichte des Krimis in der Fernsehproduktion der DDR und BRD in den vergangenen fünfzig Jahren referiert wird, wobei vieles vom Anspruch des Forscherteams uneingelöst bleibt. Das Buch sei, heißt es im Klappentext, "die Geschichte von Fernsehorganisation, -technik und -ästhetik sowie von Produktionsbedingungen und deren Auswirkungen auf die ,Konstruktion krimineller Wirklichkeit'. Und es ist eine Geschichte der Einbettung von Mord und Totschlag in die visuelle Ästhetik, in die Medien und in die Kultur unserer Gesellschaft." Es ist jedoch in erster Linie eine Fleißarbeit, in der weniger Ästhetik und historische Zusammenhänge untersucht als die Daten aus dem digitalen Zettelkasten aneinander gestoppelt werden. So erfährt der Leser beispielsweise über die ZDF-Serie "Der Alte": "Seit November 1983 ist ein Polizeiarzt [...] für die Untersuchung der Leichen zuständig." Der von Erik Ode dargestellte Kommissar der gleichnamigen ZDF-Serie wird wie folgt charakterisiert: "Seine größte Schwäche war die für seinen Beruf und diese gehört zur Standardausrüstung von Ermittlerfiguren." Des Weiteren wissen die ermittelnden Forschungstechniker mit der folgenden Erkenntnis aufzuwarten: "Bekannte Krimidarsteller [...] werben für verschiedenste Produkte in Fernsehspots." Dieser analytische Scharfsinn durchzieht das ganze Buch: In der DDR diente das Fernsehen als politisches Machtinstrument, während es im Westen in erster Linie Kulturgut und später nach der Einführung des dualen Systems auch vom Warencharakter gekennzeichnet war.

Aus den zahllosen Splittern der kriminellen Fernsehgeschichte (in deren Subtext die NS-Vergangenheit nicht nur von Tätern im Betrieb wie Herbert Reinecker "beschwiegen" wird) vermögen die Autoren keine wirkliche Erzählung zu schaffen: Immer schon verhindern die besinnungslose Daten- und Faktenhuberei und das Namedropping von Serienfiguren (denen zuweilen das Adjektiv "legendär" verliehen wird) Einsichten unterhalb der bloßen Oberfläche des Immergleichen. In der akademischen Zitatenmühle wird alles - von der Analyse eines linken Filmkritikers bis zur Banalität eines opportunistischen Schreibknechtes - zermahlen und in den spannungslosen Text integriert. Indifferent begegnet der akademische Forschergeist seinem Gegenstand und richtet ihn in seiner Leidenschafts- und Fantasielosigkeit zugrunde. "Ausgangspunkt der Projektarbeit ist", heißt es auf der Web-Seite dieses Medienprojektes, "eine theoretische Fundierung des Objektbereichs als Handlungszusammenhang im Mediensystem." Nach einer kritischen Analyse fahndet man freilich vergeblich, und selbst "Fundierungen" sind mit bloßem Auge schwer erkennbar. In der "geschichtlichen Gesamtdarstellung" begnügen sich die eifrigen Forschungstechniker mit dem Beschreiben und bieten als Höhepunkt des Werks eine tabellarische Auflistung der Kriminalserien von 1952 bis 2002 - im DFG-Förderungsvertrag war vom Denken keine Rede.

Auch handwerklich weist das Buch eine Reihe von Mängeln auf: Einzelne Zitatnachweise sucht man vergeblich in der "umfassenden Bibliographie"; kurzerhand wird John Olden zum Alias von Jürgen Roland erklärt; und mitten im Text erscheint plötzlich Teil 7 des Anhangs, während eine Würdigung des Bemühens des Privatsenders RTL, die Krimikunst im kommerziellen Fernsehen stetig voranzutreiben, schmählich unterschlagen wird. Ohnehin fällt das Buch im Vergleich zu ähnlichen Titeln im gleichen Verlag - wie beispielsweise Knut Hickethiers lobenswerter "Geschichte des deutschen Fernsehens" (1998) - qualitativ merklich ab.

"Das Leben ist zum Kotzen", lautet der markante Titel eines Kriminalromans von Léo Malet. Dieses Urteil ließe sich nicht lediglich auf den überwiegenden Teil der deutschen Krimiserienproduktion ausweiten, sondern auch auf das vorliegende Buch.

Titelbild

Ingrid Brück / Andrea Guder / Reinhold Viehoff / Karin Wehn: Der deutsche Fernsehkrimi. Eine Programm- und Produktionsgeschichte von den Anfängen bis heute.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2003.
368 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-10: 3476018032

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